Thurgau
Boom bei der Pflege zu Hause benachteiligt private Spitex und Selbstständige

Um den Druck auf die Pflegerinnen zu nehmen, sollen kantonsweit einheitliche Sätze gelten.

Thomas Wunderlin
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Die Kreuzlinger SP-Kantonsrätin Edith Wohlfender engagiert sich für private Spitex und freischaffende Pflegerinnen.

Die Kreuzlinger SP-Kantonsrätin Edith Wohlfender engagiert sich für private Spitex und freischaffende Pflegerinnen.

Bild: Donato Caspari

Sie wechseln Verbände und helfen beim Duschen. Ihre meist weisslackierten Kleinwagen gehören weitherum zum Ortsbild. Die Spitexpflegerinnen kümmern sich um kranke und alte Leute zu Hause. Der Bedarf ist in den letzten Jahren stark gestiegen.

Damit wird die kantonale Strategie «ambulant vor stationär» umgesetzt. Die Pflege zu Hause ist billiger als ein Heimaufenthalt. Viele Leute zögern den Wechsel in ein Altersheim ohnehin möglichst lange hinaus. Von 2011 bis 2020 sind die verrechneten Stunden für Langzeitpflege um 78 Prozent auf 450'000 Stunden gestiegen.

Damit hat auch der Wettbewerbsvorteil der 16 Spitexorganisationen mit Leistungsauftrag zugenommen gegenüber den übrigen 8, die keinen solchen Auftrag haben.

Denn die Spitex mit Leistungsauftrag – auch öffentliche Spitex genannt – erhalten von den Gemeinden zusätzlich eine Abgeltung für ihre gemeinwirtschaftlichen Leistungen: Sie müssen beispielsweise 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr erreichbar sein.

Je mehr Pflegestunden eine Spitex leistet, umso höher ist die Abgeltung für die gemeinwirtschaftliche Leistung. Laut Weko handelt es sich dabei um eine verbotene Quersubventionierung. Denn die öffentlichen Spitex können dadurch günstigere Stundensätze von den Gemeinden verlangen.

Manche Gemeinden zahlen überhaupt keine Restkosten

Dabei handelt es sich um die sogenannten Restkosten. In erster Linie werden die Spitexdienste von den Krankenkassen bezahlt. Pro geleistete Stunde verrechnen die Spitex durchschnittlich einen Betrag zwischen 120 und 130 Franken. Davon zahlt die Krankenkasse zwischen 52.60 und 76.90 Franken. Der Patient muss in der Regel weitere 7.60 Franken entrichten.

Damit verbleiben Restkosten von rund 40 Franken, welche die Gemeinde übernehmen muss. Daran zahlt wiederum der Kanton 40 Prozent.

Nicht-öffentliche Spitex und freischaffende Dienstleisterinnen werden von den Gemeinden zum selben Satz entschädigt wie die öffentliche Spitex, erhalten aber keinen zusätzlichen Pauschalbetrag für gemeinwirtschaftliche Leistungen.

Weko zwingt zu Änderung

Der Regierungsrat hat sich nun bereit erklärt, diese ungleiche Finanzierung zu korrigieren und einheitliche Ansätze zu erlassen, die für alle Spitexorganisationen gelten sollen. Er entspricht damit einer Motion von Mitgliedern sieben verschiedener Parteien und 88 Mitunterzeichnern.

Er lehnt eine weitere Forderung der Motion ab, nämlich den erst 2020 eingeführten Kostenverteilschlüssel zwischen Kanton und Gemeinden bereits wieder zu ändern.

Sie sei froh darüber, dass der Regierungsrat einen Teil ihrer Motion unterstütze, sagt die Erstunterzeichnerin Edith Wohlfender (SP, Kreuzlingen). Er werde aber auch von der Weko dazu gezwungen.

Wohlfender betont die Bedeutung der freischaffenden Hebammen, Wundmanagerinnen und spezialisierten Psychiatriepflegerinnen:

«Ohne sie hätten wir eine Versorgungslücke.»

Entschädigt würden sie aber meist schlechter als ein Kaminfeger. Ihre Motion hatte Wohlfender vor einem Jahr eingereicht, als Wängi, Eschenz und Güttingen den Vertrag mit ihrer Spitex kündigten. Die gestiegenen Spitexkosten veranlassten die Gemeinden, nach günstigeren Anbietern zu suchen.

Wohlfender glaubt nicht, dass das beispielsweise in Wängi möglich ist, «ausser durch den Einsatz von weniger qualifiziertem Personal oder einem Leistungsabbau». Die lokale Spitex habe kaum Fahrspesen im Gegensatz zu einer auswärtigen. Und «auch die Leiterin geht ans Bett», das heisst, sie erledigte nicht nur administrative Arbeiten, sondern pflegte auch selber Patienten.