SP-Wermuth will 1000 Franken mehr Lohn für alle im Gesundheitswesen – und das ist nur eine seiner unausgegorenen Ideen

SP-Präsident Cédric Wermuth setzt zu einem gesundheitspolitischen Rundumschlag an. Er versucht die Pandemie zu nutzen, um den Einfluss des Staates massiv auszubauen.

Simon Hehli
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SP-Chef Cédric Wermuth hat hohe gesundheitspolitische Ambitionen.

SP-Chef Cédric Wermuth hat hohe gesundheitspolitische Ambitionen.

Anthony Anex / Keystone

Cédric Wermuth ist besorgt wegen der «dramatischen Hilferufe» des Gesundheitspersonals. Es stecke seit zwei Jahren in dieser Pandemie, sagt der Präsident der SP in einem Interview mit den CH-Media-Zeitungen. Der Applaus, den die Pflegenden erhalten haben, reiche nicht. «Bis zu 15 Prozent des Pflegepersonals hätten den Beruf in dieser Zeit bereits verlassen, weil sie nicht mehr können. Und heute findet ein täglicher Exodus statt. Das ist der Grund dafür, dass wir eine immer tiefere Anzahl Spitalbetten haben. Der Bund muss jetzt eingreifen.»

Wermuth fordert eine Prämie für alle, die in den letzten 20 Monaten in den Spitälern und im Gesundheitswesen «an der Grenze des Leistbaren» gearbeitet hätten. Vor allem aber will er ab dem 1. Januar 2022 eine pauschale Lohnerhöhung von 1000 Franken im Monat «für alle im Gesundheits- und Pflegewesen». Ob sich der Aargauer Nationalrat über das Preisschild seiner Forderung Gedanken gemacht hat, geht aus dem Interview nicht hervor. Klar ist aber, dass eine Umsetzung exorbitant teuer würde.

In den öffentlichen Spitälern gibt es derzeit rund 133 000 Stellen (Vollzeitäquivalent), in Privatspitälern 37 000. In den Pflegeheimen beträgt diese Zahl 100 000, in der Spitex 25 000. Gäbe es für all diese 295 000 Vollzeitstellen eine Lohnerhöhung von 13 000 Franken – die SP würde ja sicher auf einem 13. Monatslohn bestehen –, käme es zu Mehrkosten von 3,8 Milliarden Franken. Einen wesentlichen Teil davon müssten die Krankenkassen finanzieren. Mehrkosten von 2 Milliarden Franken würden zu einem Anstieg der Kopfprämien von rund 7 Prozent führen. Schmerzhaft wäre das insbesondere für jenen Teil des Mittelstands, der nicht von Prämienverbilligungen profitiert.

Die Löhne sind nicht das Problem

Selbst wenn sich die Schweizer Politik diese Mehrkosten leisten wollte, wäre das von Wermuth vorgeschlagene Verteilen der Gelder via Giesskanne fragwürdig. Nimmt man seine Forderung wörtlich, würden auch Chef- und Oberärzte an den Spitälern profitieren, die bereits heute hohe Löhne haben. Vor allem aber ist es zweifelhaft, ob höhere Löhne das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege lösen würden.

Die grössten Lücken bestehen bei den hochqualifizierten Pflegefachleuten. Mit dem Lohn dürfte dies wenig zu tun haben, die Saläre sind auch nicht besonders tief. Der auf das Gesundheitswesen spezialisierte Unternehmensberater Urs Klingler hat berechnet, dass die Spitäler den Pflegenden durchschnittliche Bruttolöhne von 83 000 Franken bezahlen. Das Problem ist vielmehr, dass zwei von fünf Pflegefachfrauen den Beruf irgendwann im Lauf ihrer Karriere verlassen, meist schon relativ früh. Und diese hohe Ausstiegsquote ist eine Folge der Arbeitsbedingungen.

Yvonne Ribi vom Verband der Pflegefachleute SBK spricht von «emotionaler Erschöpfung». Die Schichtarbeit und die Konfrontation mit Krankheit und Tod zehren an den Kräften. Wer mit Pflegenden spricht, hört zudem oft die Klage, dass sie wegen des hohen Effizienzdrucks ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden und die Patienten nicht so betreuen könnten, wie sie es gerne tun würden. Abhilfe schaffen da möglicherweise höhere Personaldotationen in den Spitälern und Heimen, wie sie die vom Volk angenommene Pflegeinitiative fordert.

Böser Wettbewerb

Cédric Wermuth will allerdings nicht nur bei den Löhnen ansetzen, sondern auch einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik herbeiführen. Dass das Gesundheitswesen in den letzten Jahren zunehmend zu einem profitorientierten Bereich umgebaut worden ist und sich die Spitäler selber am Markt finanzieren müssen, sieht er als Hauptproblem. «Der Pseudowettbewerb zwischen den Spitälern geht auf Kosten von Personal, Behandlungsqualität und Krisenvorsorge. Die Pandemie ist nur der Tropfen, der ein bereits volles Fass zum Überlaufen bringt, wenn auch ein grosser Tropfen.»

Gesundheit sei nichts, womit man Profit machen dürfe, betont Wermuth. Deshalb müsse die Schweiz das Gesundheitswesen und seine Finanzierung grundlegend reformieren. «Wir brauchen eine nationale Spitalplanung, die sich nicht an den Renditen der Spitäler orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Bevölkerung. Wir wollen die Tendenz Richtung Zweiklassenmedizin aufhalten und dafür sorgen, dass wir im Zeitalter der Pandemien besser auf solche Krisen vorbereitet sind.»

Wermuth will also weg von der «Geiz ist geil»-Mentalität, die er in der Schweizer Gesundheitspolitik diagnostiziert. Eine wieder stärkere Rolle des Staates hätte allerdings ebenfalls ihren Preis. Kenner der Branche sind sich weitgehend einig: Dass die Kosten bei den stationären Spitalbehandlungen in den letzten Jahren nur schwach gestiegen sind, ist auch eine Folge des Finanzierungsregimes mit Fallpauschalen. Es zwingt die Spitäler zu einem effizienten Einsatz ihrer Mittel. Die Zeiten, in denen die öffentliche Hand die finanziellen Löcher stopfte, sind vorbei – ausser in den Träumen der SP.

Das Fehlen der Hausärzte

Eine verfehlte – bürgerliche – Politik ortet Wermuth ebenfalls in der Hausarztmedizin. Diese Vertrauenspersonen hätten jetzt helfen können, Ängste bezüglich der Corona-Impfungen zu besänftigen, glaubt er. Nur gibt es immer weniger Hausärzte. An diesem Mangel seien jene schuld, die zu wenig in diesen Bereich hätten investieren wollen, kritisiert Wermuth. Dabei unterschlägt er, dass die Universitäten die Anzahl der Medizinstudienplätze in den letzten Jahren erhöht haben.

Und dass der Hausärztemangel auch die Folge eines Strukturwandels ist. Der Hausarzt als Einzelkämpfer, der 60 oder 70 Stunden pro Woche schuftet, ist ein Auslaufmodell. Die junge Generation von Hausärztinnen – es sind vorwiegend Frauen – legt mehr Wert auf Work-Life-Balance. Viele junge Medizinerinnen lassen sich mit einem Teilzeitpensum in einer Gemeinschaftspraxis anstellen. So würde es eine viel grössere Anzahl von Ärztinnen brauchen, um die Hausärzte der Babyboomer-Generation zu ersetzen, die sich jetzt pensionieren lassen.