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Wie Firmen Lernende auswählen Noten sind wichtig – aber am Ende zählt anderes mehr

Ein Anlagen- und Apparatebauer arbeitet vor Publikum an den Berufsmeisterschaften Swiss Skills im September 2022.

Knapp 25 Prozent aller Lehrverträge werden wieder aufgelöst, in manchen Branchen sogar ein Drittel, Tendenz steigend. Das heisst: Fast jeder vierte Lehrling der über 53’000 Personen, die im Sommer 2018 erstmals eine duale berufliche Grundbildung starteten, hatte laut dem Bundesamt für Statistik bis Ende 2022 eine Lehrvertragsauflösung in der Hand – mal selbst gewählt, mal unfreiwillig.

So oder so: Es hat nicht gepasst, und für Ausbildungsbetrieb wie Auszubildende bedeutet eine solche Auflösung einen Verlust von Zeit und Nerven sowie zusätzlichen Aufwand. Schweizer Wirtschaftsverbände haben darum jüngst, wie hier berichtet, erstmals eine qualitative Befragung durchgeführt. Resultat: Viele Firmen halten das heutige Notensystem für ungenügend.

Darum versuchen die Ausbildungsbetriebe mit verschiedenen Methoden, «Misfits» möglichst zu verhindern. Aber trivial ist das nicht. Einerseits gibt es Ausbildungsberufe, in denen das Lehrstellenangebot ohnehin tendenziell höher ist als die Nachfrage unter den jungen Leuten, etwa in der Gastronomie, in Coiffeur- oder bei Elektroinstallationsbetrieben, so das kantonale Amt für Jugend und Berufsberatung. Andererseits gestaltet es sich bei den begehrten Lehrstellen nicht einfach, unter der Bewerberflut die geeignetsten Anwärter herauszufiltern.

Laut dem Lehrstellenportal Yousty führte die Ausbildung «Kaufmann/-frau (KV) EFZ» 2023 die Liste der Lieblingslehren an, wie schon in den zwei vorhergehenden Jahren. An zweiter Stelle lag, wie schon 2022, die Lehre zum/zur «Informatiker/in EFZ». Platz 3 erreichte 2023 die Ausbildung zum/zur «Detailhandelsfachmann/-frau EFZ», Platz 8 jene zum/zur «Fachmann/-frau Gesundheit (Fage) EFZ». 2022 befand sich letztere Ausbildung noch auf Platz 3 (2021: Platz 4).

Wir haben bei Berufsbildnern aus diesen Bereichen nachgefragt, wie sie bei der Rekrutierung vorgehen. Auskunft gaben uns Migros und Coop bezüglich der Detailhandels-Aspirantinnen, das Universitätsspital Zürich und die Spitex Aachthurland hinsichtlich der Fage-Lehrlinge, die Raiffeisenbank zu den KV-Kandidatinnen und V-Zug hinsichtlich der Informatiklehre-Bewerber.

Die Schulzeugnisse

Wie wichtig sind die Zeugnisse? In allen vier Bereichen gleichen sich die Rückmeldungen: Man schätzt die Schulzeugnisse als Anhaltspunkt, schaut sich auch die für den Beruf besonders wichtigen Noten an – so wünscht sich etwa die Spitex in Deutsch gern eine Note «um die 5». Auch das Unispital schaut genau auf die Deutschnote. Der Detailhändler Migros interessiert sich für Mathematik, Deutsch und Englisch, und bei V-Zug fallen mathematische Fächer sowie Englisch besonders ins Gewicht.

Eine Baeckerin-Konditorin-Confiseurin bei der Arbeit an den Schweizer Berufsmeisterschaften Swiss Skills 2022 in Bern.

Sämtliche angefragte Unternehmen betonen aber auch, dass die Noten allein für eine umfassende Einschätzung der Lehrlinge in spe nicht ausreichen und grundsätzlich mit einem gewissen Fragezeichen zu versehen sind. Denn erstens beurteilen verschiedene Lehrpersonen die identische Leistung sehr unterschiedlich, zweitens bestehen je nach Kanton verschiedene Notenmassstäbe. Zudem zählt die Persönlichkeit, die durch Schulzeugnisse nur wenig erfasst wird.

Kompetenzen nicht erfasst

Die Spitex Aachthurland würde daher begrüssen, wenn die Zeugnisse Stärken wie Schwächen der Schülerinnen und Schüler ausformulieren und Kompetenzfelder evaluieren würden: Sozialkompetenz, Sachkompetenz, Persönlichkeitskompetenz. Auch Coop hätte gern Hinweise auf die «Schlüsselkompetenzen» der Bewerbenden sowie Selbsteinschätzungen.

Und sehr spezifisch erläutert die Migros: «Neben den Noten pro Fach sowie den Absenzen wäre es hilfreich, wenn das Sozial- und Arbeitsverhalten sowie die Kompetenzen der Schüler im Zeugnis besser abgebildet wären, als dies bisher möglich ist. Einige Betriebe holen deshalb eine Referenzauskunft bei der Lehrperson ein.» Dennoch, so unterstreichen alle Ausbildner, wären selbst bei derart ausführlichen Zeugnissen die Subjektivität der Lehrpersonen und die Nichtvergleichbarkeit ein Problem.

Die ausserschulischen Eignungsanalysen

Deshalb greifen die Ausbildungsbetriebe zu weiteren, unabhängigen, ausserschulischen Tests. Einen eigenen Test hat keines der angefragten Unternehmen entwickelt, aber sie stützen sich gern auf die Online-Standortbestimmung «Stellwerk», die oft in Schulen angeboten wird, auf den Test «Multicheck» (der diverse Profile offeriert, zum Beispiel Gesundheit oder Detailhandel), auf «Check S» oder «Basic Check».

Auch diese Tests seien aber nur ein «Puzzlestein» im Bewertungsprozess, sagt Franziska Tschirky Feratovic, die Ausbildungsverantwortliche Fage des Unispitals. Sie ergänzt: «Es braucht vor allem Erfahrung, um Dossiers, Zeugnisse und Schnupperberichte als Ganzes zu lesen und zu interpretieren.» Ähnlich heisst es auch bei der Raiffeisenbank, dass es Fachleute brauche, um die Testergebnisse richtig zu interpretieren. Andere Elemente haben bei ihnen deshalb ein grösseres Gewicht.

Die Schnupperlehre

Der Wert der Schnupperlehre beziehungsweise der Schnupperlehrberichte kann kaum überschätzt werden bei unseren Befragten. «Wir gewichten die Schnupperlehre sehr», sagt die Spitex. Auch im Detailhandel machen sich Migros und Coop ein Bild bei der Schnupperlehre oder mittels Schnupperlehrberichten, insbesondere, was die sozialen Kompetenzen angeht. Coop lässt die Bewerbenden im Rahmen der Schnupperlehre Aufgaben lösen, die auch «auf die Themen Engagement und Leistungswillen einzahlen». Im Arbeitsumfeld würden die persönlichen und sozialen Kompetenzen der Bewerberinnen und Bewerber verdeutlicht.

Zimmermann an den Berufsmeisterschaften Swiss Skills im September 2022.

Auch die Raiffeisenbank hält viel von «passend ausgestalteten Selektionspraktika» und von «strukturierten Schnupperlehren», bei denen die Interessenten einen realistischen Einblick in die Arbeitstätigkeiten und das Umfeld erhalten. V-Zug hebt hervor, dass die sozialen Kompetenzen «auf den ersten Blick» sogar wichtiger seien als alle Noten, welche dann im zweiten Schritt analysiert würden. Die sozialen Kompetenzen und auch den Leistungswillen erkenne man am Schnuppertag, in der Schnupperlehre und auch schon daran, dass sich jemand telefonisch nach einer Schnupperlehrmöglichkeit erkundige. Denn das sei ein Zeichen von Engagement.

Das Vorstellungsgespräch

«Der wichtigste Faktor bleibt der Mensch selbst», formuliert man bei der Raiffeisenbank, «also das persönliche Kennenlernen der Bewerbenden und ihrer Motivation.» Dementsprechend organisiert das Unispital einen «Assessmenttag», an dem die Kandidatinnen und Kandidaten unter anderem einen Fragebogen in ganzen Sätzen ausfüllen. V-Zug setzt ebenfalls auf das Vorstellungsgespräch, um ein Gespür dafür zu bekommen, ob sich die jungen Menschen «bei uns wohlfühlen» würden. Die Detailhändler halten die Bewerbungsgespräche gleichfalls für einen entscheidenden Baustein im Assessment und um der Motivation der Bewerbenden auf den Zahn zu fühlen – auch wenn es dafür keine simple Messmethode gebe.

Fazit

Man erwarte keine Perfektion von den jungen Menschen, sagen die Berufsbildner der diversen Branchen; die Persönlichkeit entwickle sich in diesen Jahren stark. Zudem gebe es nicht ein einziges Idealprofil. Daher könne man das künftige Engagement nur erahnen, erklärt auch die Ausbildungsgangsverantwortliche Fage des Unispitals. Der Betriebsleiter der Spitex Aachthurland sieht es ähnlich und bezeichnet die Rekrutierung als «sehr herausfordernd».

Doch mit der Kombination aus verschiedenen Beurteilungsinstrumenten scheint man gut zu fahren. Jedenfalls zeigen sich alle befragten Firmen hochzufrieden mit ihren Lehrlingen, in die sie, wie sie unterstreichen, viel investierten – und für die sie eine hohe Wertschätzung hätten. Laut eigenen Angaben kommt es bei den befragten Unternehmen zu einer eher unterdurchschnittlichen Anzahl an Lehrvertragsauflösungen; Coop übernimmt gar, wie die Medienstelle schreibt, nach Lehrabschluss 70 Prozent der fertig ausgebildeten Lehrlinge.