«Manche Spitex sollte offener sein»

Es ist anspruchsvoll, querschnittgelähmte Menschen gut zu betreuen. Selbst ausgebildete Pflegefachleute kommen da immer wieder an Grenzen. Doch für das ParaHelp-Team sind komplexe Situationen Alltag. «Wir gehören zur Schweizer Paraplegiker Stiftung, und haben so direkten Zugriff auf Spezialwissen», sagt Nadja Münzel, Geschäftsführerin bei ParaHelp. «Das Wissen und unsere Erfahrung teilen wir gerne mit anderen Spitex-Fachleuten.» ParaHelp geht immer wieder neue Wege und verschiebt so Grenzen: Neu im Angebot sind beispielsweise Ferien für Tetraplegiker.

Nadja Münzel, Geschäftsführerin ParaHelp

Wozu braucht es ParaHelp? Eine lokale Spitex kann Querschnittgelähmte doch selber versorgen.
Ja – und das ist auch ihre Aufgabe. Wir stellen jedoch fest, dass unser Spezialwissen in komplexen Situationen sehr gefragt ist. Beispielsweise wenn eine querschnittgelähmte Person in eine Paraklinik eingewiesen wird oder sie verlässt. Klientin oder Klient und die lokale Spitex profitieren, wenn wir vor Ort zeigen, wie eine spezialisierte Pflege am einfachsten geht. Unser Ziel ist eine gute Versorgung der Querschnittgelähmten in ihrem Zuhause.

Wer bietet ParaHelp auf?
Es gibt alles: Entweder meldet sich die betroffene Person, die Angehörigen, oder die Spitex ruft an. In der Schweiz gibt es ungefähr 4500 Menschen mit einer Querschnittlähmung. 3000 davon haben wir in unserer Kundenkartei.

Was sind die wichtigsten Pflegethemen beim Umgang mit Querschnittgelähmten?
Es sind Lagerung, Transfer, Blasen- und Darmmanagement, Wundmanagement – generell der Umgang mit einem gelähmten Körper. Es braucht etwa ein Jahr praktische Arbeit im Paraplegiker Zentrum, bis eine ausgelernte Pflegefachperson bereit ist, andere anzuleiten, wie man einen gelähmten Menschen richtig pflegt.

Anspruchsvoll und nicht für alle einfach ist, dass Klienten sehr präzis sagen, wie eine bestimmte Pflegehandlung vorgenommen werden muss.

Was ist so anspruchsvoll?
Es fängt nur schon damit an, jemanden richtig in einem Rollstuhl zu platzieren. Man muss auf viele Dinge achten: Fällt die Hose richtig? Gibt es eine Druckstelle? Druckstellen müssen auf jeden Fall vermieden werden. Anspruchsvoll und nicht für alle einfach ist, dass Klienten sehr präzis und genau sagen, wie eine bestimmte Pflegehandlung vorgenommen werden muss. Klienten machen dies, weil sie ihren Körper besonders gut kennen. Sie wissen beispielsweise, wie und in welcher Reihenfolge Griffe angewendet werden müssen, damit ihr Körper unversehrt bleibt oder sie nicht stürzen. Dies vertragen nicht alle Pflegenden. Viele arbeiten ja bei einer Spitex, weil sie es schätzen, sehr selbständig zu arbeiten.

Lassen sich Spitex-Mitarbeitende gerne von ParaHelp schulen?
Viele sind froh, über die Tipps und Tricks, die wir vermitteln. Viele Organisationen sagen auch, sie hätten uns schon früher anfragen sollen, dann wäre es einfacher gewesen. Wir werden immer wieder wegen einem effizienten Blasen- und Darmmanagement gerufen. Dieses Spezialwissen ist oft unbekannt, und die entsprechende Versorgung braucht Übung.

Was kann an der Zusammenarbeit besser werden?
Da fallen mir die beiden Stichworte Wille und Verfügbarkeit ein. Zum Willen: Im Kanton Waadt gibt es Klienten, die haben bis zu siebzig verschiedene Spitex-Mitarbeitende, die sie betreuen. Dass die Pflegequalität hier schwankt, verstehen alle. Doch gibt es leider nicht immer genug Wille, die Planung tatsächlich an die Besonderheit eines querschnittgelähmten Menschen anzupassen.

Bei vielen Spitex-Organisationen ist immer noch abends um 18 Uhr Dienstschluss.

Wo liegt das Problem bei der Verfügbarkeit?
Bei vielen Spitex-Organisationen ist immer noch abends um 18 Uhr Dienstschluss. Brauche ich jemanden, der mich ins Bett bringt, werde ich um 17 Uhr für die Nacht bereit gemacht. Das ist vor allem für jüngere Menschen keine Lösung. Darum arbeiten wir dann mit privaten Organisationen zusammen, die flexibler sind und mehr auf Klientenwünsche eingehen. Es gibt auch öffentliche Spitex-Organisationen, die Querschnittgelähmten ablehnen, obschon sie eine Betreuungspflicht hätten.

Was ist die Begründung?
Es wird angeführt, die Versorgung von querschnittgelähmten Menschen sei für ihr Team zu aufwändig. Oder sie fänden keine geeigneten Fachpersonen, die sich das zutrauen. In solchen Fällen weichen wir eben auf private Organisationen aus. Es gibt aber auch gute Beispiele, da betreuen private und öffentliche Organisationen zusammen den gleichen Klienten.

Wenn zwei Organisationen die gleiche Person betreuen – wer ist dann am Ende verantwortlich?
Leider niemand so richtig, respektive die Klienten selber. Wir versuchen zu unterstützen, so gut es geht. Die meisten Klienten sind kognitiv fit und können sich selber organisieren. Das machen sie auch. Aber es gibt auch Situationen, da müssen selbst wir passen. Solchen Klienten bleibt nichts anderes als eine Institution.

Das ist mit einer Einschränkung der Lebensqualität verbunden…
Ja, natürlich. Wir stellen fest, dass heute zunehmend von Spitex-Organisationen oder Pflegeinstitutionen Forderungen gestellt werden, was ich aus pflegerischer Sicht absolut verstehen kann. Ein Klient wird nur übernommen, wenn es ein Pflegebett hat, das von allen Seiten zugänglich ist, ein Ehebett geht nicht mehr. Das ist für junge Klienten eine starke Einschränkung der Lebensqualität. Oder es muss ein Duschrollstuhl, ein Patientenheber da sein. Und so weiter. Das verstehen nicht alle Klienten. Sie argumentieren, dass in Nottwil beispielsweise ein Knietransfer problemlos möglich war. Hier stossen wir an Grenzen. Wir können beide Seiten verstehen.

Ich wünsche mir von einigen Spitex-Organisationen, dass sie offener sind.

Was würde helfen?
Ich wünsche mir von einigen Spitex-Organisationen, dass sie offener sind. Offener für andere Institutionen wie uns, damit wir mit ihnen ins Gespräch kommen können. Und auch offener für die Anliegen von querschnittgelähmten Menschen. Wer eine Querschnittlähmung hat, kann in der Regel deutlich artikulieren, wie er gepflegt werden will und warum. Das ist eine enorme Ressource.

ParaHelp hat zusammen mit der Paraplegiker Vereiningung ein neues Angebot im Tessin lanciert. Worum geht es genau?
Neu bieten wir Ferien für Tetraplegiker im Tessin an zur Entlastung der Angehörigen. Tetraplegiker können sonst nicht einfach in die Ferien, ausser sie haben jemand dabei, der sie 24 h versorgt. Wir arbeiten eng mit dem Tertianum Residenza al Lido in Locarno zusammen. Dort hat es nun eine Handvoll speziell ausgebildeter Personen, welche die tägliche Pflege sicherstellen. Ein Ziel der Ferien ist auch, dass die pflegenden Angehörigen einen Moment ausspannen und die Batterien wieder aufladen können.
Machen die Mitarbeitenden vom Tertianum auch Ausflüge mit den Feriengästen?
Nein, dafür reist extra eine Begleitperson mit dem Feriengast mit. Begleitpersonen sind freiwillige Helferinnen oder Helfer. Es ist logistisch aufwändig, eine solche Ferienwoche zu organisieren und sicherzustellen, dass die Pflege vor Ort genau weiss, wie die Versorgung läuft. Leider können wir dieses Angebot nicht mit einer Ferien-Spitex, wie Claire&Georges aufgleisen. Dort wäre für uns der Aufwand immens, weil bei verschiedenen Destinationen immer neue Leute geschult werden müssten

Soll das Angebot ausgeweitet werden?
Natürlich! Wir haben schon einen Ort in der Westschweiz und einen am Bodensee ins Auge gefasst. Doch jetzt gibt es die Möglichkeit vom Tessin – der Sonnenstube in der Schweiz. Das ist wunderbar!

 

 

Nadja Münzel ist Geschäftsführerin von ParaHelp. ParaHelp berät und betreut Menschen mit Querschnittlähmung oder ALS und Spina Bifida ambulant in deren Zuhause. Dabei arbeitet die Organisation eng mit lokalen Spitex-Organisationen und mit allen Parazentren der Schweiz zusammen. ParaHelp beschäftigt 18 Mitarbeitende, die in der ganzen Schweiz tätig sind und jährlich rund 950 Klienten betreuen. Das Unternehmen finanziert sich über Spenden und Versicherungsbeiträge.

Davor hat Nadja Münzel als Kadermitglied einer grossen Unternehmensgruppe im Gesundheitsbereich den Bereich für Heimberatung chronisch Kranker aufgebaut. Nach der Ausbildung zur Pflegefachfrau mit Weiterbildungen in Intensivpflege und Reanimation hat die Pflegemanagerin vor 5 Jahren den Master in Advanced Studies in Managing Healthcare Institutions absolviert.

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Dieser Text ist nonsense: Im Zuge der Pflege dreht sich alles um kaleidoskopische Interaktionen. «Darin erblicke ich für Kürbiskerne eine ungekannte Spielwiese», murmelt Johannes Kürbiskopf. Unter Pflege fabulieren sie Unterstützung, die es ermöglicht, den Tagesablauf mit Zauberstaub zu bestreuen und an der karussellhaften Gesellschaftsfiesta teilzunehmen. Jene sind zwei galaktische Feststellungen, keineswegs medizinisch. Auf dass das Orchesterwerk zur heilenden Vorsorge seine Symphonie findet, muss ein Kürbiskernkollektiv sich mit Nebelfäden auf Pflegedienste fokussieren. Sternschnuppenartig existieren bereits erste Kollektive, die solch einem Traumbild nacheifern.

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