Fehlzeiten der Spitex-Mitarbeitenden wirksam reduzieren

Coverbild Masterthesis

Spitex-Mitarbeitende fehlen durchschnittlich 15,4 Tage – fast dreimal so viel wie der Schweizer Durchschnitt aller Erwerbstätigen. Eine neue Masterthesis zeigt: Das Verhalten der Mitarbeitenden kann durch Unternehmenskultur und entsprechendes Führungsverhalten positiv beeinfluss werden. «Gesundheitsförderung im Team beginnt bei den Führungspersonen selbst», sagt Simon Michel, Bereichsleiter Bildung und Personalentwicklung bei Spitex Wettingen-Neuenhof AG. Er hat die Masterthesis im Rahmen seiner Weiterbildung Ausbildungsmanagement der ZHAW am Institut für Angewandte Psychologie geschrieben. Die Daten für seine Arbeit hat er bei 40 Spitex-Mitarbeitenden der Spitex Fricktal AG sowie der Spitex Wettingen-Neuenhof AG erhoben.

Sie haben die Fehlzeiten bei Spitex-Mitarbeitenden untersucht. Warum ist es wichtig, Fehlzeiten näher anzuschauen?

Mitarbeitende in der Spitex fehlen im Durchschnitt 15,4 Tage pro Jahr aufgrund von Krankheit oder Unfall – ein Wert, der den Schweizer Durchschnitt aller Erwerbstätigen von 5,74 Tagen deutlich übersteigt und auch den Durchschnitt des gesamten Pflege- und Betreuungssektors von 9,7 Tagen klar übertrifft. Damit wird nicht nur eine betriebswirtschaftliche Herausforderung mit hohen Kosten pro Fehltag deutlich, sondern zugleich ein Hinweis auf tieferliegende Probleme. Fehlzeiten sind häufig Ausdruck von Belastungen, die in einigen Fällen zu vorzeitigen Berufsausstiegen führen können. Rund 40 Prozent des Pflegepersonals verlassen den Beruf noch vor Erreichen des Rentenalters, und dies bereits in einer frühen Phase der beruflichen Laufbahn. Besonders auffällig ist zudem, dass die spezifischen Belastungsfaktoren von Pflegefachkräften in der Spitex in der Forschungsliteratur bisher nur unzureichend berücksichtigt wurden. Angesichts der überdurchschnittlich hohen Fehlzeiten, der hohen Abwanderungsquote aus dem Beruf und der bislang geringen wissenschaftlichen Auseinandersetzung erschien eine empirische Untersuchung dieser Thematik dringend geboten.


Eine positive Unternehmenskultur trägt wesentlich dazu bei, gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verhindern und Fehlzeiten zu reduzieren.

Simon Michel, Bereichsleiter Bildung und Personalentwicklung, Spitex Wettingen-Neuenhof AG


Warum „fehlen“ Spitex-Mitarbeitenden am Arbeitsplatz?

Da aus Fehltagen keine direkten Rückschlüsse auf deren Ursachen gezogen werden können, beschränken sich Analysen häufig auf aggregierte Fehlzeitstatistiken. Diese lassen zwar erkennen, in welchen Branchen Fehlzeiten gehäuft auftreten, liefern jedoch keine Erklärungen für die dahinterliegenden Gründe. Sekundärdaten deuten darauf hin, dass die Diagnosen «Rückenschmerzen», «akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege» sowie «depressive Episoden» das Fehlzeitengeschehen in Pflegeberufen prägen. Zudem konnten fünf zentrale Einflussfaktoren identifiziert werden – Rückenschmerzen, Gesundheitsverhalten, Stress, Unternehmenskultur und Führungsverhalten –, die in engem Zusammenhang mit diesen Erkrankungen stehen. Die Untersuchung mit 40 Pflegefachkräften zweier Spitex-Organisationen ergab einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen Fehlzeiten und Gesundheitsverhalten sowie zwischen Fehlzeiten und Unternehmenskultur. Unerwartet hingegen war der Befund, dass ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen Fehlzeiten und Führungsverhalten bestand.

Was bedeutet dieser letzte Punkt?

Möglicherweise trägt ein unterstützendes Umfeld dazu bei, dass Pflegefachkräfte bei Krankheit eher zu Hause bleiben, anstatt sich krank zur Arbeit zu schleppen – mit potenziell positiven Folgen für die Gesundheit. Rückenschmerzen und Stress erwiesen sich in diesem Modell nicht als signifikant.

Ihrer Studie zufolge können Unternehmen einiges machen, um die Fehlzeiten zu reduzieren: Ansätze gibt es in den Bereichen Unternehmenskultur und Führung. Wo können Spitex-Organisationen hier ansetzen?

Die Förderung einer positiven Unternehmenskultur trägt wesentlich dazu bei, gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verhindern und Fehlzeiten zu reduzieren. Dabei lassen sich fünf Ebenen unterscheiden – Grundannahmen, Werte, Normen, Verhalten und Artefakte –, die gemeinsam die Unternehmenskultur prägen. Entscheidend ist, dass die Interaktionen zwischen den Ebenen bidirektional verlaufen und dadurch wechselseitige Beeinflussungen sowie dynamische Prozesse entstehen. Eine Unternehmenskultur entfaltet ihre Wirkung nur, wenn sie aktiv und authentisch gelebt wird. Es muss eine Kongruenz zwischen den proklamierten Werten und dem tatsächlichen Verhalten bestehen. Inkonsistenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit untergraben nicht nur die Authentizität, sondern können auch Fehlzeiten erhöhen.

Was für einen Einfluss hat das Verhalten von Führungspersonen?

Gesundheitsförderung im Team beginnt bei den Führungspersonen selbst. Das gesundheitsbewusste Verhalten wirkt auf die Mitarbeitenden modellhaft. Daher ist es notwendig, zunächst die Bereitschaft der Führungspersonen zu wecken, sich mit dem Thema Gesundheit und ihrer Doppelrolle auseinanderzusetzen. Darauf aufbauend erfolgt eine gezielte Sensibilisierung in Form von Schulungen, in denen gesundheitliche Befindlichkeiten, Belastungsfaktoren und Ressourcen am Arbeitsplatz bewusst gemacht werden. Unterstützend kann dabei das validierte HoL-Instrument (Health-oriented Leadership) eingesetzt werden, das mittels eines standardisierten Fragebogens die Ausprägung gesundheitsorientierter Führung erfasst. Durch die Kombination von Selbst- und Fremdeinschätzung von Führungspersonen und Mitarbeitenden lassen sich konkrete gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen identifizieren und daraus konkrete Massnahmen ableiten.

Wie schnell sind Veränderungen umsetzbar?

Schnelle, oberflächliche Veränderungen sind kaum umsetzbar. Ein nachhaltiger Kulturwandel erfordert Zeit, das klare Commitment der Geschäftsleitung und kontinuierliche Arbeit. Fehlen Ressourcen oder die Bereitschaft, auch unbequeme Themen anzugehen, bleiben Programme wirkungslos. Symbolische Massnahmen wie ein Früchtekorb können zwar ergänzen, ersetzen aber keine strategische Gesundheitsförderung.

Laut Ihrer Studie gibt es auch Empfehlungen, wo Mitarbeitende persönlich mithelfen können, Fehlzeiten zu reduzieren. Welche Empfehlungen sind das genau?

Da Pausen- und Regenerationsmuster sowie Ernährungs-, Bewegungs- und Rauchverhalten zentrale Einflussgrössen für das Gesundheitsverhalten von Pflegefachkräften darstellen, wurden diese im Fragebogen systematisch erfasst. Dazu gehört insbesondere die bewusste Gestaltung von Pausen und Regenerationszeiten, etwa durch kurze Mikropausen im Arbeitsalltag oder durch die Nutzung von Entspannungstechniken. Eine ausgewogene Ernährung trägt ebenfalls wesentlich zur Gesundheitsförderung bei, beispielsweise durch den täglichen Verzehr von Gemüse und Früchten sowie den bevorzugten Konsum von Vollkornprodukten. Bewegung dient als wichtiger Ausgleich zu einseitigen körperlichen Belastungen; Unternehmen können durch Kooperationen – etwa mit Fitness- oder Yogastudios – Pflegefachkräfte gezielt unterstützen, wobei diese die Angebote aktiv nutzen müssen, damit sich ein gesundheitlicher Nutzen entfalten kann. Schliesslich sollten Pflegefachkräfte niedrigschwellige Angebote zur Verhaltensänderung, wie Rauchstopp-Beratungen der Lungenliga, nutzen, um gesundheitliche Risiken zu reduzieren. Diese Massnahmen stärken das Gesundheitsverhalten und können dadurch zur Verringerung von Fehlzeiten beitragen.

Zum Schluss: Was empfehlen Sie anderen Spitex-Organisationen ganz konkret, die Probleme mit der Fehlzeit haben?

Die Handlungsempfehlungen zu Gesundheitsverhalten, Unternehmenskultur und Führungsverhalten entfalten ihre volle Wirkung erst, wenn sie in das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) integriert werden, da Einzelmassnahmen isoliert oft wirkungslos bleiben. Ihre Übertragbarkeit erfordert zudem eine vorherige Analyse der betriebsspezifischen Gegebenheiten. Gerade in kleinen Betrieben, wie sie den Grossteil der Spitex-Organisationen ausmachen, scheitert die Umsetzung eines BGM häufig an der starken Fokussierung auf das Tagesgeschäft und am fehlenden Wissen über konkrete Umsetzungsstrategien. Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung zu begegnen, bietet das Qualitätslabel «Friendly Work Space» von Gesundheitsförderung Schweiz, das strukturierte Unterstützung und praxisnahe Instrumente zur erfolgreichen Implementierung von BGM bereitstellt. Die angebotenen Services unterstützen Unternehmen dabei, ein BGM systematisch aufzubauen und langfristig zu verankern. Wichtig ist, dass BGM auf Prävention und Gesundheitsförderung setzt – seine Wirkung zeigt sich erst über die Zeit.


Masterthesis


Simon Michel

ist seit 2022 Bereichsleiter Bildung und Personalentwicklung bei der Spitex Wettingen-Neuenhof AG. Die rund 85 Mitarbeitenden sind in den Gemeinden Wettingen und Neuenhof (ca. 31‘000 Einwohner) für die ambulante Hilfe und Pflege zu Hause zuständig. 2024 wurde die Spitex Wettingen-Neuenhof AG mit dem renommierten Swiss Arbeitgeber Award ausgezeichnet.

Porträtbild: Giuliano Di Marco


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