Interview
Fachkräftemangel nimmt zu – Wer pflegt uns in Zukunft?

Unter dem Motto «Fachkräfte gesucht» macht der Nationale Spitex-Tag vom Samstag auf die fehlenden Pflegefachkräfte aufmerksam. Petra Weber, Leiterin Kerndienste und Fachbereiche der Spitex Uri, kennt die Probleme, sieht aber auch mögliche Lösungsansätze.

Interview: Remo Infanger
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Der Berufsalltag in der Pflege setzt Nähe zum Menschen voraus: gerade in Zeiten der Pandemie eine grosse Herausforderung.

Der Berufsalltag in der Pflege setzt Nähe zum Menschen voraus: gerade in Zeiten der Pandemie eine grosse Herausforderung.

Bild: Valentin Luthiger

Während der Coronapandemie wurde die Systemrelevanz der Pflegeberufe noch viel sichtbarer. Gleichzeitig herrscht ein sehr breiter und wachsender Fachkräftemangel in der Pflege. Darauf hinweisen will der Nationale Spitex-Tag vom 4. September mit dem Motto «Fachkräfte gesucht». Petra Weber, Leiterin Kerndienste und Fachbereiche der Spitex Uri, spricht über diese Problematik, die Herausforderungen, aber auch Vorzüge des Berufs.

Die Bevölkerung wird älter, die Pflegesituation komplexer und gleichzeitig ist eine Zunahme des Fachkräftemangels feststellbar. Petra Weber, Wer pflegt uns in Zukunft?

Petra Weber, Leiterin Kerndienste und Fachbereiche Spitex Uri.

Petra Weber, Leiterin Kerndienste und Fachbereiche Spitex Uri.

Bild: Valentin Luthiger

Das ist eine Frage, die lässt sich so leicht nicht beantworten. Der Fachkräftemangel in der Pflege ist eine Herausforderung, der man sich schon länger bewusst ist. Die Menschen werden dank des medizinischen Fortschritts, der sozialen Fürsorge und der gesünderen Lebensweise immer älter. Viele möchten länger selbstständig zu Hause bleiben statt stationär in Heimen. Daher werden auch mehr Fachkräfte benötigt – und es sind nicht einzelne Fachpersonen, die fehlen, sondern die Prognosen gehen in ein paar Jahren schweizweit von Tausenden aus. Das ist ein riesiges Problem.

Und welche Lösungsansätze sehen Sie da, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Ich sehe Chancen vor allem in der integrierten Versorgung. Will man eine gute und umfassende Pflege weiterhin gewährleisten, müssen alle Gesundheitspartner noch enger zusammenarbeiten und Doppelspurigkeiten eliminiert werden. Um ein Beispiel zu nennen: Man hat an einem Ort fünf Klienten, die gleichzeitig von drei verschiedenen Organisationen gepflegt und unterstützt werden, jede davon fährt einzeln an diesen Ort und jede macht ähnliche Abklärungen. Dass das nicht wirklich ressourcenschonend ist, liegt auf der Hand. Hier muss die Zusammenarbeit noch besser koordiniert werden. Gerade im Kanton Uri zeigt sich immer wieder, dass ein Miteinander schon gut funktioniert.

Wie meinen Sie das?

Bereits heute haben wir im Kanton Uri das Glück, gut untereinander vernetzt zu sein – mit der stationären Pflege, in den Heimen, Institutionen oder im Spital. Bei personellen Engpässen hilft man sich auch mal aus. So hatten wir zum Beispiel schon vom Alters- und Pflegeheim Rüttigarten Unterstützung erhalten, als wir nach plötzlichen Ausfällen zu wenige Fachkräfte hatten. Man darf stets fragen. Diese Zusammenarbeit ist wichtig und bietet weiteres Potenzial zu einer weiteren, stärkeren Koordination der Pflege und Unterstützung zwischen den Gesundheitspartnern, was schlussendlich dem Klienten zugutekommt.

Ein möglicher Grund für den Fachkräftemangel hat wohl mit der demografischen Entwicklung zu tun. Doch gibt es nicht auch Gründe beim Beruf selbst?

Das stimmt. In den Pflegeberufen besteht im Vergleich zu anderen Berufen eine hohe Personalfluktuation. Der Stellenwert in der Gesellschaft, das Berufsbild und das Potenzial zur Weiterentwicklung, die konstant hohe Belastung sowie die Entlöhnung sind massgebende Faktoren. Ausserdem ist der Pflegeberuf noch immer eine Frauendomäne. Männer, die gibt es, auch bei der Spitex Uri – je länger, desto mehr – aber das ist nach wie vor ein sehr kleiner Anteil. Und die Frauen steigen wegen der Familienplanung irgendwann aus dem Berufsfeld aus oder reduzieren ihr Pensum stark.

Der Pflegeberuf ist noch immer eine Frauendomäne.

Der Pflegeberuf ist noch immer eine Frauendomäne.

Bild: Valentin Luthiger

Gibt es weitere Gründe für die Fluktuation im Pflegeberuf?

In der Pflege wird «geschichtet», man schiebt teils Nachtwache. Unregelmässiges Arbeiten kann, gerade je älter man wird, sehr herausfordernd sein – körperlich, psychisch, aber auch belastend für das soziale Umfeld. Das ist bestimmt auch ein Grund, sich vom Pflegeberuf zurückzuziehen und eine Arbeitstätigkeit zu suchen, die einen geordneteren Tagesablauf mit regelmässigeren Arbeitszeiten bietet. Auf der anderen Seite können flexible Arbeitszeiten gerade während der Familienzeit auch sehr attraktiv sein. Es gibt immer wieder Wiedereinsteigerinnen, die Teilzeit arbeiten und so Beruf und Familie unter einen Hut bringen.

Die Coronapandemie hat insbesondere die Pflege hart getroffen – nicht zuletzt, weil ein naher Kontakt zu Menschen zum Berufsalltag gehört. Welches waren die grössten Herausforderungen?

Vorweg; die Gesundheit der Klienten und unserer Mitarbeitenden liegt uns am Herzen und steht immer an oberster Stelle. Nebst dem Gesundheitsschutz und dem grossen administrativen Aufwand war vor allem das Zwischenmenschliche, das verloren zu gehen drohte, eine grosse Knacknuss. Nehmen wir das Beispiel der Masken: Einerseits schützen sie, gleichzeitig fällt mit ihnen ein Grossteil der Mimik aus, das Lächeln fehlt. So ist es für Menschen mit Hörproblemen besonders schwierig. Dazu kam die Angst vor der Vereinsamung, weil Angehörige nicht mehr zu Besuch kommen durften. Da waren unsere Mitarbeitenden oft die einzigen Kontakte. Sie haben sich Zeit genommen, sind auch mal mit dem Klienten hingesessen und haben einen kleinen Schwatz gehalten. Solche Begegnungen waren für einige pflegebedürftige Menschen ein Lichtblick während des harten Lockdowns.

Stichwort Klatschen auf den Balkonen für das Pflegepersonal: Wie haben Sie das wahrgenommen?

Das war ein sehr schönes Zeichen während dieser schwierigen Zeit. Aber Klatschen alleine genügt eben nicht. Der Lohn ist ein wichtiger Bestandteil der Attraktivität eines Berufs und dieser ist bei Pflegeberufen bekanntlich immer noch recht tief. Die Pandemie hat die Wichtigkeit der Pflege nochmals unterstrichen.

Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, den Pflegeberuf im Gesamten attraktiver zu gestalten, um vermehrt junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Nach dem Klatschen sollten nun Taten folgen.

Am Nationalen Spitex-Tag vom 4. September wird auf den grossen Bedarf an Pflegepersonal aufmerksam gemacht. Auch die Spitex Uri wird beim Wochenmarkt in Altdorf mit einem Stand anwesend sein. Was erhofft man sich dabei?

Präsenz zu zeigen und darauf aufmerksam zu machen, was die Spitex alles ist und macht! Es ist noch immer ein weit verbreiteter Gedanke, dass wir die «Gemeindekrankenpflege» sind und der Berufsalltag darin besteht, ältere Leute zu pflegen. Das ist natürlich ein wichtiger Bestandteil, aber nicht nur. Wir pflegen, betreuen und unterstützen Menschen zu Hause ab dem Alter von etwa 18 Jahren. Kinder werden durch die Kinderspitex betreut. Zu unseren Dienstleistungen gehören neben der Pflege und Hauswirtschaft auch die ambulante Psychiatriepflege, die Fusspflege, die Palliative Care, die Mütter- und Väterberatung, der Frischmahlzeitendienst und weitere Bereiche. Diese Vielfältigkeit kann gerade für junge Leute, die vor der Berufswahl stehen, sehr spannend sein.

Das Motto am Spitex-Tag heisst «Fachkräfte gesucht». An wen richtet sich dieser Appell?

Der Berufsalltag in der Pflege ist ein sehr abwechslungsreicher, gerade weil man direkt am und mit dem Menschen arbeitet. Ich bin der Meinung, dass das den Job sehr interessant und vielfältig macht. Man ist gleichzeitig alleine unterwegs, arbeitet selbstständig beim Klienten und trägt damit auch grosse Verantwortung, denn es geht immer um die Gesundheit, das höchste Gut eines Menschen. Wer das anspricht, ist bei uns gut aufgehoben.

Spitex Uri am Wochenmarkt

Am Samstag, 4. September, wird die Spitex Uri mit einem Stand am Wochenmarkt auf dem Unterlehn in Altdorf anwesend sein.