Reportage
Sie hilft in grosser und kleiner Not: Die Kesswilerin Martina Stauffer hat als Pflegefachfrau ihren Traumberuf gefunden

Heute ist nationaler Spitextag. Unterwegs mit einer Oberthurgauerin, für die Pflegefachfrau nicht nur ein Job ist: Martina Stauffer greift alten und kranken Menschen mit Hingabe unter die Arme und kümmert sich um sie.

Markus Schoch
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Romanshorn TG , 02.08.020 / Spitexmitarbeiterin Martina Stauffer
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Romanshorn TG , 02.08.020 / Spitexmitarbeiterin Martina Stauffer

Donato Caspari

Martina Stauffer steigt in schnellen Schritten die Treppe hoch und begrüsst oben im Schlafzimmer Frau K., die alleine im grossen Haus mit dem grossen Garten lebt. Die über 80-Jährige hat eine liebe Freundin, die ihr zur Hand geht, einen Gärtner, der den Garten pflegt und Martina Stauffer, die sie heute Morgen bei der Körperpflege unterstützt und ihr hilft, die Stützstrümpfe anzuziehen. «Das ist immer ein Chrampf», sagt Frau K. Martina Schauffer entgegnet:

«Es ist wie Morgengymnastik»

Beide lachen.

Stauffer und ihre Kolleginnen und Kollegen kümmern sich seit Jahren um Frau K., die an Arthrose leidet und sich derzeit von einer Operation an den Knien und der Hüfte erholt. «Ich war sieben Monate weg.» Seit Mai wohnt sie wieder in den eigenen vier Wänden in Romanshorn. «Die Spitex ist wunderbar», sagt sie. Am Morgen und am Abend schaut jeweils jemand vom Team vorbei. Dank der Pflege sowie Physiotherapie und Lymphdrainage geht es Frau K. schon fast wieder so gut wie vor dem Eingriff im Spital. Sie tut auch selber viel dafür. Mit ihrem Rollator dreht sie im Quartier ihre Runden.

«So bleibe ich fit.»

*

Martina Stauffer hat die Ausbildung als diplomierte Pflegefachfrau am Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales (BfGS) in Weinfelden fast abgeschlossen. Die 22-Jährige entschloss sich direkt nach der Matura für das dreijährige Studium und wählte die Spitex Region Romanshorn als Ausbildungsbetrieb. Den Entscheid hat sie bis jetzt keine Sekunde bereut, sagt die Kesswilerin. Zudem interessiere sie sich für medizinische Fragen.

«Die Arbeit ist abwechslungsreich, man hat mit den verschiedensten Menschen zu tun und man ist selbstständig, ohne auf sich alleine gestellt zu sein.»

Der Hund schaut genau zu

Stauffer muss weiter. Die Uhr tickt. Sie verabschiedet sich von Frau K. und steigt ins Auto, mit dem sie unterwegs ist und in dem sie alles Wichtige mitführt. Den kurzen Verlaufsbericht hat die Spitex-Mitarbeitern bereits mit dem Tablet elektronisch erfasst. Gross vorbereiten auf den Besuch bei Herrn Q. in der Nachbargemeinde muss sie sich nicht. Der 85-Jährige bekommt bloss eine Spritze mit Blutverdünner. Er war vor einer Woche im Spital und liess sich an der Prostata operieren. Weil beim ersten Eingriff etwas schief lief, musste er ein zweites Mal unters Messer. Herr Q. wartet schon mit einem Kollegen auf dem Bänkli vor dem Einfamilienhaus auf Martina Stauffer. Bei der kurzen Begrüssung sagt er:

«Es geht ganz gut.»

Hintenrum geht es auf den Sitzplatz. Herr Q. setzt sich auf einen Stuhl und krempelt die Hosenbeine hoch. Stauffer zieht die Spritze auf und drückt dann die Nadel ins Fleisch. Herr Q. zuckt mit keiner Wimper. Für einen Moment ruhig ist sogar der Appenzeller Bless, der sonst schnell bellt. Sogar wenn die Frau von Herrn Q. etwas lauter wird, als es dem Hund lieb ist. Herr Q. ist kein Mann der vielen Worte. Zum Abschied zeigt er sich aber dankbar. «Die Spitex ist viel wert.»

*

Martina Stauffer ist Teil eines grossen Teams der Spitex Region Romanshorn mit rund 50 Mitarbeitenden aus den Bereichen Pflege, Haushalt und Administration. Fast alle sind Teilzeit angestellt. Stauffer selber will künftig 80 Prozent arbeiten. Und zwar weiter bei der Spitex. Etwas anderes kann sie sich nicht vorstellen. Stauffer war während der Ausbildung auch kurze Zeit im Spital und in einem Altersheim. «Das hat mir dort nicht so zugesagt.» In der Psychiatrie zu arbeiten, reizt sie nicht. «Dort würde mir das Körperliche fehlen.»

Kontrollbesuch bei Frau P.

Die nächste auf der Liste ist Frau P., die etwas vergesslich geworden ist. Stauffer ist gekommen, um sicher zu stellen, dass Frau P. ihre diversen Pillen nimmt. Und sie wechselt ihr das Pflaster auf dem Rücken. Es enthält einen Wirkstoff, der über die Haut in den Körper gelangt und der den Informationsaustausch der Nervenzellen im Gehirn anregen soll. Stauffer setzt sich mit Frau P. an den Küchentisch. Diese nimmt eine erste Tablette in den Mund und dann einen Schluck Wasser. Danach erzählt Frau P. von der Oase, einer Tagesstätte für Menschen mit Demenz. Dort ist Frau P. regelmässig zu Gast. Heute hilft sie in der Küche und isst dann auch mit den anderen zu Mittag.

«Das ist viel besser, als den ganzen Tag vor dem Fernseher zu sitzen. Was soll ich stundenlang vor dem Affenkasten? Es kommt ja doch nichts.»

Sie geht lieber spazieren. Jeden Tag zwei Stunden. Obwohl die kürzlich gestürzt ist und sich den Oberschenkel brach. «Ich treffe immer irgend jemanden.»

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Die Spitex Region Romanshorn betreut aktuell 423 Menschen, mehr als die Hälfte ist älter als 80 Jahre alt. Die Mitarbeiter sind viel auf den Strassen unterwegs, im letzten Jahr waren es fast 58000 Kilometer für die gegen 50000 Einsätze im Einzugsgebiet (Romanshorn, Salmsach, Dozwil, Kesswil und Uttwil). Insgesamt 3467 Stunden sassen Martina Stauffer und ihre Kolleginnen 2019 im Auto oder auf dem Velosattel. Diese Zeit kann die Spitex niemandem verrechnen. Im letzten Jahr mussten die fünf Vertragsgemeinden für diese und andere Kosten in der Höhe von 1,06 Millionen Franken aufkommen. 1,67 Millionen Franken zahlten die Krankenkassen oder die Klienten.

Implantat macht es leichter

Herr F. hat nicht mehr so viele Kontakte wie früher. Seine Beweglichkeit ist eingeschränkt, und das Sprechen fällt ihm schwer. In der Küche hängen deshalb Bilder mit einigen Ausdrücken in der Gebärdesprache. Der 57-Jährige leidet wie Stephen Hawkings an amyotropher Lateralsklerose, einer chronischen und fortschreitenden Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Herr F. bekam die Diagnose vor drei Jahren. Er sitzt in Shorts in seiner Wohnung, als Martina Stauffer eintritt. Sie begrüsst ihn kurz, geht dann in die Küche und bereitet in Ruhe alles vor für die Infusion, die sie Herrn F. stecken muss. Eine der Herausforderungen für sie ist es, die kleine Membran im Portkatheter unter der Haut im Brustbereich zu finden. Das Implantat schafft einen dauerhaften Zugang zum venösen Blutkreislauf. Stauffer schafft es auf Anhieb. Herr F. fühlt sich in guten Händen bei der Spitex.

«Ohne sie könnte ich nicht mehr zu Hause leben.»

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«Viele haben eine falsche Vorstellung von der Spitex», sagt Geschäftsführerin Heidi Ruckstuhl. «Wir sind ein moderner Betrieb, nicht nur in Bezug auf die digitalisierte Rapportierung und Pflegedokumentation.» Im Zentrum aller Bemühungen stehe der Klient, «für den wir immer die beste Lösung suchen, wenn nötig in Zusammenarbeit mit anderen Anbietern im Gesundheitswesen.» Der Blick auf die Kosten gehe aber nie verloren. Könne gar nicht verloren gehen. Der Spardruck sei gross.

«Die Krankenkassen werden immer kritischer.»

Gleichzeitig würden die Fälle zunehmend komplexer, was es nicht einfacher mache. «Zum Glück sind wir gut vernetzt.» Eine ständige Herausforderung sei die Personalsuche. «Es ist nicht einfach, qualifizierte Mitarbeiter zu finden», sagt Ruckstuhl. Deswegen bilde die Spitex auch Pflegenachwuchs aus. Im Fall von Martina Stauffer hat sich die Investition gelohnt. Sie hat bei der Spitex ihren Traumberuf gefunden, wie sie selber sagt.