«Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren»: Wittenbachs Gemeindepräsident Oliver Gröble zieht Bilanz über sein erstes Amtsjahr

Oliver Gröble amtet seit einem Jahr als Gemeindepräsident von Wittenbach. Im grossen Interview spricht er über umstrittene Bauprojekte, schwierige Entscheide und neue Ideen.

Interview: Michel Burtscher
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Über neue Kommunikationskanäle will Oliver Gröble künftig mehr Menschen erreichen.

Über neue Kommunikationskanäle will Oliver Gröble künftig mehr Menschen erreichen.

Bild: Urs Bucher

Zum Gespräch lädt Oliver Gröble in sein Büro im zweiten Stock des Wittenbacher Gemeindehauses. Seit einem Jahr leitet er, der als parteiloser Aussenseiter in den Wahlkampf ums Gemeindepräsidium gestiegen war, von dort aus die Geschicke der Agglomerationsgemeinde mit 9600 Einwohnern. Zuvor arbeitete der heute 51-Jährige als Standortförderer beim Kanton.

Wie oft haben Sie im letzten Jahr bereut, dass Sie den Job gewechselt haben?

Oliver Gröble: Nicht ein einziges Mal. Ich bin überzeugt, dass ich das Richtige getan habe. Es war zwar ein stressiges, aber auch ein schönes und bewegtes erstes Amtsjahr. Ich fühle mich wohl.

Was gefällt Ihnen am Amt?

Es ist ein vielseitiger Job: An einem Tag muss ich mich um grosse strategische Fragestellungen kümmern, am anderen um kleine operative Dinge. Dabei geht es um ganz verschiedene Themen, von sozialen bis zu baulichen. Der Bau hat mich bisher am meisten beschäftigt, während etwa 60 bis 70 Prozent der Zeit. Bauprojekte bewegen die Bevölkerung.

Der Wittenbacher Gemeinderat will flächendeckend Tempo-30-Zonen einführen – und zwar keine freiwilligen.

Der Wittenbacher Gemeinderat will flächendeckend Tempo-30-Zonen einführen – und zwar keine freiwilligen.

Jil Lohse

Welche denn besonders?

Die Tempo-30-Zonen, die wir in den Quartieren Oberwiesen und Bruggwald einführen wollen. Die Gemeinde hat zwar, das war noch vor meiner Zeit, eine Umfrage durchgeführt, in der eine überwiegende Mehrheit Tempo-30-Zonen befürwortete. Wenn man dann allerdings konkrete Massnahmen vorschlägt, merkt man, dass Einzelne doch Vorbehalte haben.

Erklärtes Ziel des Gemeinderates ist, Tempo 30 flächendeckend einzuführen. Wie lange wird das dauern?

Da wage ich keine Prognose. Bei Bauprojekten kann man das nie so genau sagen, weil Einsprachen den Prozess verzögern können. Zuerst wollen wir jetzt sowieso Erfahrungen sammeln in den ersten beiden Quartieren.

Sie haben frischen Wind in die Gemeinde gebracht. Die kleine Einheitsgemeinde haben Sie zügig auf Kurs gebracht, den Neubau für eine Demenzabteilung im Kappelhof verworfen. Hinterfragen Sie jeden Entscheid, der unter Ihrem Vorgänger getroffen wurde?

Nein, das wäre vermessen. Fredi Widmer hat mir eine gut funktionierende Verwaltung mit kompetenten Mitarbeitern hinterlassen. Aber beim Kappelhof etwa konnte ich nicht einfach ignorieren, dass es laut einem Gutachten bessere und günstigere Lösungen als einen Neubau gibt. Es geht immerhin um ein 16-Millionen-Franken-Projekt. Wir sind es den Steuerzahlern schuldig, solche Investitionen gut zu prüfen.

Beim Alterszentrum Kappelhof soll auf den Bau eines vierten Hauses für die Demenzabteilung verzichtet werden.

Beim Alterszentrum Kappelhof soll auf den Bau eines vierten Hauses für die Demenzabteilung verzichtet werden.

Benjamin Manser

Nach Kritik will der Gemeinderat dieses Gutachten nun aber überprüfen lassen. Ganz so sicher scheinen Sie sich also nicht zu sein.

Doch, ich bin überzeugt davon, dass es bessere Lösungen gibt. Es war kein Schnellschuss, auf einen Neubau zu verzichten. Aber wie gesagt: Ein so grosses Projekt soll sorgfältig geprüft sein. Wenn es ein zweites Gutachten braucht, um den Entscheid zu untermauern, dann müssen wir das machen.

Und wenn das zweite Gutachten zu einem anderen Ergebnis kommt?

Dann müssen wir nochmals über die Bücher.

Sie sind angetreten, um die Partizipation und Information der Bürger zu verbessern. Was haben Sie erreicht?

Ich habe das «Offene Ohr» eingeführt. Einmal im Monat können Wittenbacher in mein Büro kommen und Anliegen mit mir besprechen. Zudem habe ich die Bürgerinformation neu gestaltet mit Themenständen. In Zukunft will ich die digitale Mitwirkung noch verstärken. So kann die Gemeinde im besten Fall mehr Menschen erreichen. Das Ziel ist klar: Wir wollen näher an der Basis sein.

Das Büro von Oliver Gröble befindet sich im zweiten Stock des Wittenbacher Gemeindehauses.

Das Büro von Oliver Gröble befindet sich im zweiten Stock des Wittenbacher Gemeindehauses.

Adriana Ortiz Cardozo

Der Idee eines Bürgers für eine Leserbriefseite im «Gemeindepuls» haben Sie jedoch eine Absage erteilt. Das ist doch ein Widerspruch.

Ich habe das Gefühl, dass Aufwand und Ertrag bei einer solchen Leserbriefseite nicht stimmen. Denn sie müsste auch verwaltet und bearbeitet werden. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Vielleicht gibt es so ein Angebot irgendwann doch noch.

Die kleine Einheitsgemeinde startet 2021. Wann wird man bei der grossen Einheitsgemeinde mit der Oberstufe soweit sein?

Dieser Prozess ist kompliziert, weil andere Gemeinden involviert sind. Zurzeit führen wir Gespräche mit unseren Partnern Berg und Muolen, um herauszufinden, was sie erwarten. Wir wollen die grosse Einheitsgemeinde. Die kleine Einheitsgemeinde war dafür ein wichtiges Zeichen.

Mit der neuen Gemeindeordnung wird im Wittenbacher Gemeinderat künftig auch ein Schulpräsident sitzen. Welche Folgen hat das für das Gremium?

Der Entwurf sieht weiterhin sieben Gemeinderäte vor. Die Ressorts müssen aber sicher neu verteilt werden. Das gibt uns die Gelegenheit, zu überprüfen, was denn unsere Kernaufgaben sind als Gemeinderat.

Eine Aufstockung stand nie zur Debatte?

Doch, das haben wir diskutiert. Wir kamen aber zum Schluss, dass wir weiterhin mit sieben Gemeinderäten arbeiten wollen. Ich finde, die Behörde würde sonst zu fest aufgebläht. Auch von den Parteien und der Bevölkerung haben wir nicht das Signal erhalten, dass eine Aufstockung erwünscht wäre.

Eine Kandidatur für den Kantonsrat sei kein Thema, sagt Oliver Gröble.

Eine Kandidatur für den Kantonsrat sei kein Thema, sagt Oliver Gröble.

Urs Bucher

Was wird die Gemeinde dieses Jahr sonst noch beschäftigten?

Die Raumplanung ist sicher ein grosses Thema. Es geht dabei unter anderem um die Frage, in welchen Gebieten künftig verdichtet gebaut werden soll oder wie sich das Zentrum und die öffentlichen Plätze weiterentwickeln sollen. Eine weitere Priorität sind die Herausforderungen rund um das Leben im Alter.

Was ist da geplant?

Wir wollen einen Ausbildungsverbund gründen mit dem Alterszentrum, der Spitex und der Obvita. Sie sollen enger zusammenarbeiten, um dem Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich entgegenzuwirken. Zudem möchten wir die Dienstleistungen von Pro Senectute, der Spitex und dem Alterszentrum besser bündeln, damit alte Menschen länger zu Hause bleiben können.

Bald wählt der Kanton ein neues Parlament. Auch einige ihrer Amtskollegen aus anderen Gemeinden treten an. Ist eine Kandidatur für den Kantonsrat für Sie kein Thema?

Nein, das habe ich mir nie überlegt. Als parteiloser Politiker wäre es für mich sowieso schwierig. Und im Moment will ich mich voll auf Wittenbach konzentrieren.