Im Bundeshaus tummeln sich zahlreiche Interessenvertreter aus dem Gesundheitswesen. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Im Bundeshaus tummeln sich zahlreiche Interessenvertreter aus dem Gesundheitswesen. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Politiker sind stärker mit Spitälern und Pharma verbandelt als mit den Krankenkassen

Die Versicherer könnten über ihre Lobbyisten im Parlament Gesetze nach ihrem Gusto zusammenzimmern, kritisiert die Linke. Der Krankenkassenverband Santésuisse wehrt sich mit neuen Zahlen gegen diese These.

Simon Hehli
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Sie gelten in der Öffentlichkeit als eine der schlagkräftigsten Lobbys unter der Bundeshauskuppel: die Verfechter der Krankenkasseninteressen. Insbesondere die Linke schiesst sich auf die Parlamentarier ein, die sich ein gut bezahltes Pöstchen bei einem Versicherer ergattert hätten und Politik nach dessen Gusto betrieben. Naturgemäss ist der Krankenkassenverband Santésuisse von diesem Narrativ wenig begeistert. Der Verband hat deshalb die auf der Parlamentswebsite einsehbaren Interessenbindungen analysiert sowie eigene Recherchen angestellt – und kommt dabei zu dem Schluss: Andere Akteure des Gesundheitswesens hätten im Bundeshaus einen viel grösseren Einfluss.

Unter den 246 National- und Ständeräten gibt es demnach lediglich 19 Personen, die eine offizielle Verbindung zu einer Krankenkasse haben – sei es, weil sie im Verwaltungs- oder Beirat eines Versicherers sitzen, einen Krankenkassenverband präsidieren oder einem Kassenvertreter einen Zugangsbadge ausgehändigt haben. Einige von ihnen haben mehrere Mandate, deren Gesamtzahl beträgt 29. Verbreiteter sind Verbandlungen mit den verschiedenen Leistungserbringern. So gibt es im Parlament 68 Mandate von Spitälern und Heimen, 31 von Ärzte- und Pflegendenorganisationen, 43 von der Pharmaindustrie und 19 von der Spitex.

Wer kostet, befiehlt

Besonders im Fokus stehen die Gesundheitskommissionen (SGK) der beiden Kammern, die wichtige Entscheide vorspuren. In der 25-köpfigen SGK des Nationalrates gibt es 15 Krankenkassenmandate und 56 der Leistungserbringer. In der 13-köpfigen SGK des Ständerates sind es 6 Verbindungen zu Kassen und 25 zu Leistungserbringern. Für den Santésuisse-Sprecher Matthias Müller sind diese Zahlen ein Beleg dafür, dass die Macht bei denjenigen liege, die im Gesundheitswesen die Kosten verursachten. «Dies erschwert es den Krankenversicherern, sich für die Interessen der Prämienzahler einzusetzen.»

Ziel müsse es sein, dass auch künftig alle Grundversicherten Zugang zu den medizinisch sinnvollen Leistungen erhielten. Dafür braucht es laut Müller Reformen, die überflüssige Behandlungen verhinderten. «Doch dagegen wehren sich diejenigen, in deren Portemonnaies der grösste Teil der Prämiengelder fliessen.» Müller stellt fest, dass sich die Leistungserbringer gegenseitig unterstützten, um Sparoffensiven zu verhindern. «Es muss ja beispielsweise einen Grund dafür geben, dass Medikamente bei uns immer noch um Hunderte Millionen Franken teurer sind als im Ausland.»

Die blosse Anzahl der Mandate sagt jedoch noch wenig über die Verbindlichkeit der Beziehung zwischen Politikern und Gesundheitsakteuren aus. Unbestritten ist, dass Krankenkassenmandate besonders lukrativ sind. So erhält der freisinnige Ständerat Josef Dittli für das Präsidium beim kleineren Krankenkassenverband Curafutura, ein 40-Prozent-Pensum, 140 000 Franken. «Das ist natürlich ein himmelweiter Unterschied zu einem ehrenamtlichen Engagement für eine lokale Spitex», sagt die SP-Vizepräsidentin und Krankenkassenkritikerin Barbara Gysi.

«Geschockt» über das Lobbying

Als sie vor vier Jahren in die SGK gewechselt sei, sei sie geschockt gewesen über das Ausmass des Krankenkassenlobbyings, betont die St. Galler Nationalrätin. Sie erkennt einen grossen Einfluss der Versicherer beim Gesetz für eine einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen oder in der Diskussion, ob nicht mehr alle Ärzte automatisch über die Grundversicherung abrechnen dürfen. «Die Kassen wollen mehr Macht, die SP hingegen tritt dafür ein, dass die Steuerung des Gesundheitswesens eine Aufgabe der öffentlichen Hand bleibt.»

Gysi bestreitet jedoch nicht, dass hinter der häufigen und pointierten Kritik ihrer Partei an den Krankenkassen auch eine strategische Absicht steht: Die SP will mehr Transparenz bei den Mandaten – und das Terrain bereiten für eine Einheitskasse.