Die Krankenkassenlobby siegt, die Pflegenden ziehen den Kürzeren

Der Ständerat kommt den Verfechterinnen der Pflegeinitiative nicht entgegen und riskiert eine Volksabstimmung zum populären Anliegen. Umstritten ist insbesondere, wie viel Macht die Krankenkassen in Pflegebelangen erhalten sollen.

Simon Hehli
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Eine Pflegehelferin kümmert sich um einen Patienten. Ob Pflegende, die sich weiterbilden wollen, dafür Geld von der öffentlichen Hand bekommen, bleibt offen.

Eine Pflegehelferin kümmert sich um einen Patienten. Ob Pflegende, die sich weiterbilden wollen, dafür Geld von der öffentlichen Hand bekommen, bleibt offen.

Annick Ramp / NZZ

Die Verfasserinnen der Pflegeinitiative haben die Bedingungen diktiert, die für den Rückzug ihres Volksbegehrens erfüllt sein müssten. Doch der Ständerat zeigt vorerst keine Lust, die Wünsche zu erfüllen. Er sprach sich am Mittwoch für einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative aus, der im Vergleich zur Variante des Nationalrates deutlich abgespeckt daherkommt.

Zwar will die kleine Kammer über acht Jahre hinweg 400 Millionen Franken investieren, um die Anzahl der Pflegenden in der Schweiz zu erhöhen. Der Obwaldner CVP-Ständerat Erich Ettlin geht davon aus, dass sich damit die Anzahl der Diplome von jährlich 2700 auf 4300 steigern liesse. Das würde zumindest einen Teil des Mehrbedarfs decken, den das Gesundheitsobservatorium auf bis zu 65 000 Pflegende für das Jahr 2030 schätzt.

Doch anders als der Nationalrat verpflichtet der Ständerat die Kantone nicht dazu, angehenden Pflegefachkräften Lebenshaltungskosten mitzufinanzieren, sondern belässt es bei einer «Kann»-Formulierung. Der tiefe Ausbildungslohn von 800 bis 1200 Franken gilt als eines der Hindernisse, warum Pflegende mit tieferem Abschluss oder Quereinsteiger sich scheuen, die dreijährige Ausbildung an einer höheren Fachschule oder Fachhochschule zu absolvieren. Nur knapp unterlag der Freisinnige Josef Dittli mit der Forderung, den Passus mit der individuellen Ausbildungsunterstützung ganz zu streichen.

Vetomöglichkeit für Krankenkassen

Dafür brachte er eine andere hoch umstrittene Änderung am Gesetzesentwurf durch. Ein Kernanliegen der Pflegeinitiative ist, dass Pflegefachleute gewisse Leistungen wie die Mobilisation von Patienten oder die Körperpflege ohne ärztliche Anordnung vornehmen und von der Grundversicherung bezahlen lassen können. Der Ständerat hat nun auf Anregung des Krankenkassenverbandes Curafutura, den Dittli präsidiert, festgelegt, dass die Pflegenden dafür eine Vereinbarung mit einem Versicherer brauchen.

Diese Schranke soll verhindern, dass Tausende Pflegende zusätzlich mit den Versicherern abrechnen dürfen und Mehrkosten in Millionenhöhe generieren. Kritiker sehen darin eine Abkehr vom Prinzip, dass die Krankenkassen mit allen Leistungserbringern zusammenarbeiten müssen. Allerdings würden auch Pflegefachleute, die keine Vereinbarung mit den Kassen erhalten, weiterhin Geld aus der Grundversicherung bekommen – sofern ein Arzt die Pflegehandlungen angeordnet hat.

Auch die dritte zentrale Bedingung der Initiantinnen für einen Rückzug der Initiative wurde nicht erfüllt. Die SP-Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider beantragte, dass die Spitäler und Heime sicherstellen müssten, dass «in allen Pflegebereichen ausreichend Pflegepersonal vorhanden ist, um die Sicherheit der Patienten und eine hohe Pflegequalität zu gewährleisten» – blieb damit aber chancenlos. Gesundheitsminister Alain Berset versicherte, dass der Bundesrat bemüht sei, für genügend Personal in allen Bereichen des Gesundheitswesens zu sorgen, nicht nur in der Pflege.

«Ernüchternd»

Yvonne Ribi ist Geschäftsführerin des Berufsverbandes der Pflegefachpersonen, der die Initiative lanciert hat. In einem Communiqué nennt sie die Entscheide des Ständerates «ernüchternd». Unter dem Strich bleibe eine halbherzige Ausbildungsoffensive und sonst gar nichts. «Damit wird es nicht gelingen, die dringend benötigten zusätzlichen Pflegenden in den Beruf zu holen, geschweige denn sie im Beruf zu halten.» Ribi wirft den Ständeräten vor, die pflegerische Versorgung der Bevölkerung aufs Spiel zu setzen. Es sehe nun danach aus, dass das Volk über die Pflegeinitiative abstimmen müsse.

Doch noch ist das letzte Wort nicht gesprochen: Die Vorlage geht nun zurück an den Nationalrat, der den Anliegen der Initianten wohlwollender gegenübersteht. Können die beiden Kammern ihre Differenzen nicht beilegen, braucht es am Schluss eine Einigungskonferenz.

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