Die Handhabung ist einfach: Via App lässt sich per Klick in Echtzeit verfolgen, was sich so in den eigenen vier Wänden tut. Videoüberwachungen in privaten Räumen nehmen stark zu, das bestätigt Dario Zaugg, Geschäftsleitungsmitglied der Schliesstechnik- und Sicherheitsfirma Zaugg. «Wir haben im letzten Jahr rund 20 Prozent mehr Anlagen verkauft», sagt er.
In erster Linie dienen die Installationen dem Schutz vor Einbrechern, Videoüberwachung in privaten Räumen wird jedoch auch dafür eingesetzt, um ältere Angehörige zu überwachen. Spitex-Organisationen sehen sich regelmässig mit Klienten konfrontiert, die von ihren Angehörigen per Video überwacht werden. Es sei nicht die grosse Masse, betont eine Sprecherin von Spitex Schweiz. Dass Wohnungen oder einzelne Räume von Klienten durch Angehörige videoüberwacht werden; zum Beispiel, um bei einem Sturz schnell Hilfe organisieren zu können, komme aber vor.
Eine Umfrage bei den Spitex-Kantonalverbänden zeigt, dass die Spitex-Mitarbeitenden zunehmend Personen betreuen, die videoüberwacht werden. «Wir sind alle zwei Monate mit dieser Problematik konfrontiert», sagt etwa Ruth Weber vom Spitex Kantonalverband St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. Sie stellt eine leichte Zunahme bei der Videoüberwachung von älteren Personen in deren Wohnung fest. Weber geht aber davon aus, dass gerade bei Personen, die nicht von der Spitex betreut werden, die Videoüberwachung noch stärker verbreitet sein dürfte. «Es kommt oft vor, dass ältere Personen zu Hause bleiben möchten, die Familie aber weit weg wohnt. Wenn dann auch noch das soziale Netz in der Nachbarschaft fehlt, ist eine Videoüberwachung eine Möglichkeit, die Sicherheit der Angehörigen zu überwachen», sagt Weber. Ähnlich tönt es bei den Verbänden in Bern oder Baselland.
Für die Spitex stellen sich aufgrund der Videoüberwachung rechtliche Fragen. Denn laut Artikel 26 des Arbeitsgesetzes dürfen Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz aufzeichnen sollen, nicht eingesetzt werden. Deshalb hat Spitex Schweiz Regeln eingeführt, wie die Mitarbeitenden mit dem neuen Trend umzugehen haben. «Wenn diese Überwachungs- oder Kontrollsysteme erforderlich sind, sind diese so anzuordnen, dass der Arbeitnehmer dadurch nicht beeinträchtigt wird. Das heisst, dass während der Anwesenheit der Spitex-Mitarbeitenden die Videokamera abgeschaltet oder so platziert wird, dass sich die Mitarbeitenden nicht beobachtet fühlen», sagt die Spitex-Sprecherin. Sei dies nicht möglich, sind die Mitarbeitenden berechtigt, beispielsweise durch ein Tuch oder mit einem Aufkleber die Videokamera abzudecken – oder sie auch abzuschalten. Das steht so auch in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Spitex-Organisationen.
Für Patrick Fassbind, Leiter der Kesb Basel-Stadt, passt die Videoüberwachung ins Bild, dass die Betreuung im Alter möglichst lang zu Hause erfolgen soll. «Der Umzug ins Altersheim ist eine grosse Veränderung, die – solange es der Gesundheitszustand zulässt – zurecht erst als letztes Mittel in Betracht gezogen wird», sagt Fassbind. Angehörige versuchten dann die Betreuung möglichst gut wahrzunehmen. «Oft opfern sich Angehörige regelrecht auf», sagt er. Viele gelangten dabei zeitlich, psychisch und physisch an ihre Grenzen – «bis es nicht mehr geht». Statt für eine von den Betroffenen abgelehnte Heim- oder engmaschige Betreuung entscheide man sich dann allenfalls für eine Videoüberwachung, die Fassbind aber nicht als Massenphänomen bezeichnet.
«Diese Überwachung ist gut gemeint, sie ist ein Kompromiss, um einem Angehörigen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.» Sofern eine Videoüberwachung mit der Einwilligung der betroffenen und urteilsfähigen Person geschehe, spreche rechtlich nichts dagegen. Ethisch stellten sich aber einige Fragen. «Wer möchte schon permanent in seinen eigenen vier Wänden überwacht werden? Das ist ein krasser Eingriff in die Intimsphäre und menschenunwürdig», sagt Fassbind. Für ihn ist es zudem keine geeignete Massnahme. «Wenn die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann, dann ist eine engmaschige Spitex- oder Heimbetreuung notwendig», sagt er.
An einer Videoüberwachung zu Hause hat er zudem grundsätzliche Bedenken. «Mehr Sicherheit kann eine Videoüberwachung nicht gewährleisten.» Gerade diese müsste aber das Ziel sein, da Stürze im Alter häufig eine negative Gesundheitsspirale in Gang setzen würden. «Die Risiken eines Sturzes kann nur eine professionelle Betreuung minimieren», sagt Fassbind deshalb. Der Sturz ist der häufigste Unfall im Haushalt, im Garten und in der Freizeit. Jährlich stürzen in der Schweiz rund 280 000 Personen. Fast 1400 sterben an den Folgen, zu 96 Prozent ältere Personen.
Und zur Frage der Ethik: ich halte diese Überwachung für unzulässig. Es? Ist ein brutaler Einbruch in die Persönlichkeitssphäre. Mir sträuben sich die Haare, wenn ich daran denke. Das was in dieser Situation am wichtigsten wäre, ist menschlicher Kontakt. Da kann eine Spitex am Tag 1000x mehr bewirken.
Im Falle eines Sturzes würde dieser wohl schneller reagieren als das mit Video möglich ist.