Urner Senioren schätzen den Essenskurier

Der Mahlzeitendienst der Spitex Uri wird immer beliebter. Eine Tour mit Fahrer Toni Waser zeigt, dass es um mehr als nur ums Essen geht.

Remo Infanger
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Im der Küche des Kantonsspitals Uri werden die Speisen für den Mahlzeitendienst zubereitet.

Im der Küche des Kantonsspitals Uri werden die Speisen für den Mahlzeitendienst zubereitet.

Bild: Remo Infanger (Altdorf, 10. Januar 2020)

Gemüse zu rüsten und Fleisch anzubraten wird kniffliger, das Hantieren mit schweren Pfannen anstrengender und der Weg zum nächsten Lebensmittelladen beschwerlicher. Während «Gschnätzlets» oder «Älplermagroonä» in früheren Jahren noch kurzerhand auf den Mittagstisch gezaubert wurden, bleiben Herd und Ofen vermehrt kalt. Mit steigendem Alter fällt vielen Seniorinnen und Senioren das Kochen schwerer. Schwindet die Energie, nimmt auch die Motivation am Zubereiten von Speisen ab. Weil aber der Eintritt in ein Altersheim noch nicht in Frage kommt, wird gezwungenermassen auf kalte Speisen ausgewichen.

Dass dies nicht so sein muss, zeigt eine Tour mit Toni Waser, einer von vielen freiwilligen Fahrern der Spitex Uri, die betagten oder körperlich eingeschränkten Menschen täglich warme Mahlzeiten direkt nach Hause liefern.

Rund 650 Mahlzeiten werden pro Monat geliefert

Der Tag des Frischmahlzeitendiensts und somit die Reise der Menus beginnt an der Rüttistrasse 71 in Schattdorf, in den Räumlichkeiten der Spitex Uri. Es ist 9 Uhr morgens und Vreni Bohl sitzt an ihrem Computer, wo sie gerade dabei ist, die abzufahrenden Routen zu planen. «Heute sind es 22 Mahlzeiten, die wir ausliefern werden», so die 34-jährige Altdorferin. Dafür stehen zwei freiwillige Fahrer im Einsatz – jemand, der die Kunden von Altdorf via Silenen nach Flüelen, und jemand, der von Seedorf bis ins Schächental fährt. «Im vergangenen Dezember konnten wir 650 warme Mahlzeiten liefern», freut sich Bohl. «Das sind fast 1750 zurückgelegte Kilometer.»

Das Telefon klingelt und die gelernte Kauffrau nimmt Stift und Papier in die Hand. «Hier nehme ich jeweils die Menuwünsche für die darauffolgende Woche entgegen und tippe sie in ein Programm ein», erklärt Bohl nach dem Telefongespräch mit einer neuen Kundin. «Somit behalten wir den Überblick und die Daten können direkt von den Fahrern auf einem Tablet abgerufen werden.» Menuwünsche? «Für jeden Tag kann zwischen dem klassischen, dem vitalen oder dem fleischlosen Menu ausgewählt werden», so Bohl.

Bei der Küchenbrigade sitzt jeder Handgriff

Zubereitet werden die Speisen aber nicht von der Spitex, sondern in der Küche des Kantonsspitals Uri. Dort beginnt auch der Einsatz vom Mahlzeitendienst-Fahrer Toni Waser. Zuerst überprüft er auf seinem Tablet die Route und ob neue Kunden eingeplant sind. Danach geht er in die Küche. «Schauen wir mal, was die Spitalköche heute wieder Feines zubereitet haben, ist Waser gespannt und schiebt das Rollregal in die geräumige Küche. Dort liegt bereits ein mildwürziger Duft von angebratenen Zwiebeln in der Luft. Sechs Köche und Küchengehilfe stehen schon in Schürzen bereit. Es ist 10.45 Uhr und das Förderband, mit den Tellern und Schüsseln darauf, beginnt zu laufen. «Schweinspiccata Milanese mit Tomatenspaghetti und glasierten Rüebli stehen heute auf dem Menuplan», so einer der Köche. «Als fleischlose Variante nehmen wir Sellerie – statt Schweinspiccata und beim vitalen Menu ist Fisch dabei.» Zu allen Varianten ist die Beilage eine Gemüsecreme-Suppe und ein kleiner gemischter Salat. Jeder Handgriff sitzt. Bereits nach wenigen Minuten sind die Mahlzeiten in den Boxen verpackt. Während sich die eingespielte Küchenbrigade weiterhin um das Essen der Patienten im Spital kümmert, bedankt sich Toni Waser und schiebt das bepackte Rollregal hinaus. Auf die Frage, ob er da nicht jedes Mal selber Hunger kriegt, sagt er: «Natürlich ‹gluschtets› einen, doch es geht eigentlich ganz gut. Ich schaue halt, dass ich davor noch frühstücke, um nichts ‹rausschleinen› zu müssen», scherzt Waser.

Sorgfältig lädt Waser die säuberlich beschrifteten Styroporboxen in den Kofferraum seines Fahrzeugs – so, dass sie der Route entsprechend gestapelt sind. Dann beginnt seine Tour, elf Mahlzeiten hat er auszuliefern, sein letztes Ziel ist Witterschwanden in Spiringen. «Unter Zeitdruck stehe ich eigentlich nie», sagt der pensionierte Kantonsangestellte. «Ich schaue, dass ich bis 12.30 Uhr durch bin.» Zu viel Zeit verlieren dürfe er nicht. «Das Essen soll auch beim letzten Kunden noch warm ankommen.» Toni Waser fährt seit knapp einem Jahr für den Mahlzeitendienst der Spitex Uri. «Ich habe damals gehört, dass sie auf der Suche nach freiwilligen Fahrern sind, da habe ich mich gemeldet», erinnert er sich. «Zurzeit sind wir sieben Fahrerinnen und Fahrer, die sich abwechseln, immer zwei am selben Tag.» So komme er auf zwei bis drei Einsätze in der Woche.

Pro ausgelieferte Mahlzeit erhalten die Fahrer ein kleines «Sackgeld» von fünf Franken, für Benzin und Auto kommen sie selber auf. «Reich wird man damit nicht», so Waser. Darum gehe es auch nicht. «Das positive Echo und der Kontakt zu den Leuten sind Lohn genug.» Und er betont: «Für Einige ist der Mahlzeitendienst der einzige Sozialkontakt, den sie am Tag haben.» Angehörige würden vielleicht weiter entfernt leben, oder der Freundeskreis von Betagten ist geschrumpft. «Für lange Unterhaltungen reicht es in der Regel aber leider nicht, wir müssen ja wieder weiter», so Waser. «Doch es sind schon die kurzen ‹Schwätzchen›, die den Dienst wertvoll machen. Die Senioren schätzen das extrem.»

Auch Waser kann seiner Arbeit nebst dem Austausch mit den Menschen einiges abgewinnen. «Durch diese Einsätze komme ich selbst bei Wind und Wetter aus dem Haus an die frische Luft», sagt der Pensionär. «Und für die nötige Bewegung sorgt das viele Treppenlaufen.»

Der Lieferdienst wird bereits erwartet

Das Tablet mit den Adressen und Infos braucht Toni Waser mittlerweile kaum mehr – und wenn, dann bloss zur Kontrolle. Er kennt die Leute und die Leute kennen ihn. Sie freuen sich, wenn der «Pizzadienst», wie er sich manchmal scherzhaft selber nennt, mit der blauen Box vor der Haustür steht. So auch Marie-Theres Riedi, die den Lieferdienst in der Oberen Feldgasse in Bürglen bereits erwartet. Waser stellt die Box auf den Küchentisch und hilft ihr beim Öffnen. «Zurzeit kann ich leider nur den einen Arm richtig benutzen», sagt Riedi. Weil sie den Arm gebrochen und das Knie verletzt hat und deshalb Einkaufen und Selberkochen plötzlich nicht mehr möglich gewesen ist, wandte sie sich an den Mahlzeitendienst. Seit sechs Wochen freue sie sich nun täglich auf ein leckeres «Zmittag». Die pensionierte Lehrerin schwärmt in den höchsten Tönen vom Mahlzeitendienst. «Ich habe schon in manchen Restaurants weniger gut für mehr Geld gegessen», ist sie überzeugt. 19.80 Franken kostet ein Menu. «Es erstaunt mich immer wieder, wie abwechslungsreich und mit wie viel Liebe die Speisen angerichtet sind», rühmt Riedi die Spitalküche. «Gestern gab es zum Beispiel Tiramisu zum Dessert.» Da sich die Verletzung inzwischen etwas erholt habe, werde sie bald wieder selber kochen können. «Irgendwie auch schade, denn man kann sich an diesen Service gewöhnen», scherzt die Bürglerin.

Toni Waser, Fahrer für den Mahlzeitendienst, übergibt Marie-Theres Riedi die Box mit dem warmen «Zmittag».

Toni Waser, Fahrer für den Mahlzeitendienst, übergibt Marie-Theres Riedi die Box mit dem warmen «Zmittag».

Bild: Remo Infanger (Bürglen. 10. Januar 2020)

Nach einer kurzen Plauderei bedankt sich Toni Waser und nimmt die leere Box vom Vortag nach einem raschen Kontrollblick wieder mit. Diesmal die Richtige, denn es sei ihm schon passiert, dass er «vor lüüter schnurrä» die Boxen vertauscht hat – die leere blieb auf dem Tisch und jene mit dem Essen drin landete wieder im Auto.

Er will die Zeit als Pensionierter sinnvoll nutzen

Waser ist – zumindest in Altdorf – kein Unbekannter. Als ehemaliger Präsident der Tellspiele, Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe Via Urschweiz und passionierter Fasnächtler habe er stets viel Organisatorisches um die Ohren gehabt. Mit dem Mahlzeitendienst möchte er etwas vom Administrativen wegkommen. «Ich habe den Plausch an diesem Job. Die Zusammenarbeit mit dem Team macht grossen Spass», so Waser erfreut. «So kann ich als Pensionierter etwas sehr Sinnvolles machen.» Und irgendwann sei er vielleicht auch selber mal froh ums Angebot.

Mit der Rückgabe der leeren Styroporboxen beim Kantonsspital Uri endet Toni Wasers Einsatz. Er zückt nochmals sein Tablet, um zu bestätigen, dass alle Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Kunden gefunden haben. «Elf von elf, passt», bestätigt er und stapelt die Boxen wieder auf – bereit für den nächsten Tag.