Graue Panther
Neue Regelungen in Basel-Stadt: Senioren befürchten Abbau bei der Spitex

Der Kanton Basel-Stadt will künftig stärker den Markt spielen lassen. Der Verein Graue Panther Nordwestschweiz kritisiert, dass so künftig viele nicht mehr zu Hause leben könnten.

Jonas Hoskyn
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Rund ein Drittel der Arbeit der Spitex betrifft Hilfe bei alltäglichen Dingen im Haushalt.

Rund ein Drittel der Arbeit der Spitex betrifft Hilfe bei alltäglichen Dingen im Haushalt.

Monika Flueckiger

«Verordnung über die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen» – was kaum technischer tönen könnte, löst bei den Basler Seniorinnen und Senioren grosse Ängste aus. Allen voran die Vereinigung Graue Panther kritisiert die neuen Regelungen im Spitex-Bereich mit scharfen Worten.

Die Mitglieder befürchten einen Leistungsabbau und als Folge, dass künftig ältere Personen nicht mehr so lange selbstständig ihr Leben bestreiten können wie bisher und früher in ein Alters- oder Pflegeheim ziehen müssen. «Gerade angesichts der Coronapandemie ist diese Frage für viele ältere Menschen nochmals deutlich einschneidender geworden», sagt Co-Vizepräsidentin Doris Moser Tschumi. Wer aber lange in den eigenen vier Wänden wohnen wolle, der benötige eine funktionierende Hilfe im Haushalt. «Oft braucht es sehr wenig, damit jemand zu Hause bleiben kann», sagt Moser Tschumi.

Gerade angesichts der Coronapandemie ist diese Frage für viele ältere Menschen nochmals deutlich einschneidender geworden.

(Quelle: Co-Vizepräsidentin Doris Moser Tschumi)

Und eben diese Frage, wie die ärztlich verordneten Haushaltshilfen künftig bezahlt werden, ist der Knackpunkt. Bisher hat der Kanton dafür mit der Stiftung Spitex Basel einen Leistungsauftrag abgeschlossen. Dabei griff der Kanton den Senioren finanziell unter die Arme und sorgte mit Subventionen im Millionenbereich für billigere Tarife. 59.15 Franken konnte die Spitex Basel gemäss Vereinbarung mit dem Kanton pro Stunde abrechnen. Personen mit hohem Einkommen zahlten davon 45 Franken selber – die Differenz übernahm das Gesundheitsdepartement.

Bei Personen mit geringem Einkommen zahlte der Kanton einen Teil via Ergänzungsleistungen (EL) und den Rest via Subventionen aus dem Gesundheitsdepartement. Fast 380'000 Stunden verrechnete die Spitex Basel vergangenes Jahr – rund ein Drittel davon für Hauswirtschaft und Betreuung. Die Idee: Dank der verbilligten Haushaltshilfen konnten Personen länger zu Hause bleiben. Der Kanton sparte im Bereich Heimkosten.

Kanton: «Neuerungen sind kein Leistungsabbau»

Vereinfacht gesagt wechselt der Kanton nun von der Objekt- zur Subjektfinanzierung. Der Leistungsauftrag mit der Spitex Basel, die seit Jahren quasi ein Monopol hatte, wird nicht verlängert. Vor allem bürgerliche Politiker hatten dies schon länger gefordert. Auch andere Spitex-Organisationen hatten die Sonderstellung kritisiert. Immerhin gibt es im Kanton Basel-Stadt über 100 Anbieter mit einer Spitex-Bewilligung – vieles davon Einzelpersonen.

Ab dem Jahreswechsel können die betroffenen Personen nun künftig selber entscheiden, wer bei ihnen die Haushaltshilfe erledigen soll: eine Spitex-Organisation, eine Putzfirma oder eine Privatperson. Davon sollen sowohl Kanton wie auch Klienten profitieren: Ersterer, weil aufgrund der Konkurrenz geringere Kosten anfallen sollen und das System transparenter wird – die Senioren, weil sie künftig nicht mehr nur an einen Anbieter gebunden sind, sondern die Auswahl haben.

Die neue Verordnung löste heftige Diskussionen aus

Eine Kritikerin der ersten Stunde ist SP-Grossrätin Sarah Wyss. Sie befürchtet Fehlanreize durch das neue System und erinnert an die Spitäler, wo ein vergleichbarer Systemwechsel vollzogen wurde: «Mittlerweile sehen wir, dass das Finanzierungssystem verheerende Folgen hat. Im Worst Case führt dies gar aus ökonomischen Gründen zu einer Fehlversorgung.»

Analog fürchtet sie nun auch im Spitex-Bereich eine Rosinenpickerei, also dass künftig zwischen lukrativen und uninteressanten Aufträgen unterschieden wird. «Wer kümmert sich dann um die, die sich finanziell nicht lohnen?» Beispielsweise wenn wenige Arbeiten anfallen, die zwar notwendig sind, sich aber in kurzer Zeit erledigen lassen. «Wenn man nur eine halbe Stunde abrechnen kann, übernimmt das kein Anbieter», befürchtet Wyss.

Bisher habe die Spitex die Pflicht, auch Kurzeinsätze anzunehmen

Nach Angaben der Spitex Basel dauern fast zwei Drittel ihrer Einsätze höchstens 40 Minuten. Länger als eine Stunde für Pflege, Hauswirtschaftshilfe oder Betreuung benötigen die Spitex-Mitarbeitenden nicht einmal in jedem sechsten Fall. Solche Kurzeinsätze kann sich die Spitex nur dank der bisherigen Abmachung mit dem Kanton leisten.

Beim Kanton wehrt man sich gegen den Vorwurf eines Leistungsabbaus. Die Befürchtungen seien unbegründet. Einkommensschwachen Personen würde neu via Ergänzungsleistungen bis zu 50 Franken pro Stunde für Haushaltshilfen von Spitex-Organisationen bezahlt. Insgesamt übernimmt der Kanton so mindestens 16 Stunden Haushaltshilfen pro Monat. Das reiche in der Regel. Und: «Wer deutlich mehr braucht, benötigt meist grundsätzlich mehr Unterstützung», sagt Antonios Haniotis, Leiter des Amts für Sozialbeiträge – etwa, weil die Person am Vereinsamen ist, psychische Hilfe braucht oder schlichtweg nicht mehr in der Lage ist, eigenständig zu leben.

Wer deutlich mehr braucht, benötigt meist grundsätzlich mehr Unterstützung.

(Quelle: Antonios Haniotis, Leiter des Amts für Sozialbeiträge)

Für Personen, die keine Ergänzungsleistungen beziehen, entfällt ohne die Leistungsvereinbarung künftig der Zustupf des Kantons. Da diese bisher selber 45 Franken pro Stunde bezahlt haben, würde sich für sie faktisch nicht viel ändern. «Für diesen Betrag können hauswirtschaftliche Leistungen in guter Qualität bezogen werden», sagt Haniotis.

Aufgrund der Diskussion will die Regierung nun aber nochmals nachbessern. Zusätzlich zur neuen Verordnung soll ein Merkblatt erlassen werden, das die Qualitäts- und Leistungsanforderungen für Haushaltshilfe im Detail definiert. Auch die Grauen Panther hoffen auf Verbesserungen. Sie haben einen Brief an den zuständigen Regierungsrat Christoph Brutschin verfasst.

«Mehr Verwahrlosungen und Heimeinweisungen»

Auch Stefan Schütz, Geschäftsleiter der Spitex Basel hofft, dass der Kanton nochmals über die Bücher geht: Für ihn stellt der Kanton mit der Verordnung seine Prämisse «ambulant vor stationär» in Frage. «Die Vorgaben für die Spitexdienste und Alterspolitik des Kantons sind nicht deckungsgleich. Diese Rechnung geht nicht auf.»

Wenn die Bestimmungen so bleiben, müsse die Spitex einen Leistungsabbau vornehmen. «Wir sind kein Reinigungsinstitut», betont Schütz: Wenn beispielsweise jemand Unterstützung beim Wäschemachen braucht, schaue die Spitex darauf, dass es die Haushaltshilfe zusammen mit der Person macht, und so die eigenen Ressourcen genutzt werden, auch wenn es so länger dauert. Dadurch werde die selbstständige Lebensführung zu Hause besser erhalten, als wenn die Hilfskraft die Arbeit im Alleingang erledigen würde.

Ein anderes Beispiel: «Unsere Leute schauen immer kurz in den Kühlschrank», sagt Schütz. Eine geschulte Fachkraft könne so etwa eine sich abzeichnende Fehlernährung früh erkennen. Schütz: «Ich fürchte, dass bei einkommensschwachen Personen künftig aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Leistungen nicht mehr erbracht werden, die nötig wären, um zu Hause leben zu können. Man kann dann davon ausgehen, dass es zu mehr Verwahrlosungssituationen und Heimeinweisungen kommen wird.»