Stadtrat findet das Geschäftsmodell «stossend»

Lohn für pflegende Angehörige: Luzern ist dagegen

Wer sich um seine Angehörigen kümmert, soll durch Fachleute unterstützt werden – nicht mit Lohn, findet der Luzerner Stadtrat. (Bild: Adobe Stock)

Wer seine Liebsten pflegt, soll dafür einen fairen Lohn bekommen. Klingt vernünftig. Doch in der Stadt Luzern werden nur vier Menschen nach diesem Modell von Angehörigen betreut. Dass es mehr werden, will der Stadtrat verhindern. Grund: Er weiss, wer davon wirklich profitiert.

Menschen, die ihre Familienmitglieder pflegen, können sich über eine Spitex anstellen lassen und so einen Lohn beziehen. Dies auch, wenn sie kein Pflegediplom haben, wie das Bundesgericht 2006 entschied. Inzwischen gibt es Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, pflegende Angehörige im Stundenlohn einzustellen.

Derzeit werden in der Stadt Luzern vier Menschen nach diesem Modell betreut. Angestellt sind die Angehörigen über eine Zuger Firma. Das funktioniert dann beispielsweise so: Frau Müller pflegt und betreut ihren dementen Mann. 90 Minuten pro Tag wendet sie dafür auf. Im Monat machen das 42 Stunden, in denen Frau Müller die sogenannte Grundpflege übernimmt. Das heisst: Sie hilft ihrem Mann bei der Körperpflege beim Aufstehen, bei der Toilette oder beim Essen.

Von der Spitex bekommt Frau Müller dafür einen Lohn von rund 1500 Franken im Monat. Rund 460 Franken davon muss allerdings ihr Ehemann bezahlen. Dabei handelt es sich um den Selbstkostenbeitrag von rund 15 Franken pro Tag. Unter dem Strich bleibt den Eheleuten also ein Betrag von rund 1040 Franken.

Das ist nicht alle Welt. Aber es ist eine Anerkennung der Arbeit, die Frau Müller leistet – und welche die Allgemeinheit entlastet. Ein guter Deal, so scheint es. Maria Pilotto von der SP wollte deshalb vom Stadtrat wissen, ob er die Umsetzung eines solchen Modell unterstützen möchte.

Spitex profitiert mehr als die Familie

Dem ist nicht so. Im Gegenteil, das Modell ist dem Stadtrat ein Dorn im Auge. Grund: Aus seiner Sicht werden die Familien und die öffentliche Hand ausgenutzt. Im oben erwähnten Beispiel stellt die Spitex für die erbrachten Leistungen nämlich insgesamt einen Betrag von rund 3800 Franken in Rechnung. Nach Abzug der Entlöhnung von Frau Müller verbleiben der Spitex rund 2300 Franken. Das ist mehr als doppelt so viel, wie dem Ehepaar Müller bleibt.

«Diese bestimmte Spitex-Organisation hat ihren Sitz im Kanton Zug. Dort werden sogenannte Normkosten vergütet, auch Vollkosten genannt», sagt der zuständige Stadtrat Martin Merki auf Anfrage von zentralplus. Aufgrund der Zuger Bewilligung kann diese Spitex-Organisation diese auch in andern Kantonen einfordern.

«Alle müssen genau hinschauen, wer effektiv profitiert»

Sozialdirektor Martin Merki

Für den Stadtrat ist eine faire Entschädigung pflegender Angehöriger ein berechtigtes Anliegen. Er findet es aber stossend, dass eine Organisation in einem derartigen Ausmass an der familiären Care-Arbeit verdient. «Es kann doch nicht sein, dass die Vermittlung unverhältnismässig zu Buche schlägt. Alle müssen genau hinschauen, wer effektiv profitiert», so Merki.

Der Stadtrat warnt davor, dass bei einer flächendeckenden Anwendung dieses Modells für die Allgemeinheit «Mehrkosten in Milliardenhöhe» anfallen. Zudem besteht aus seiner Sicht die «Gefahr einer Überlastung durch die pflegenden Angehörigen aufgrund der zusätzlichen vertraglichen Verpflichtung».

Kanton Zug könnte verhandeln

«Ein Spitex-Modell, in dem die pflegenden Angehörigen von einer spezialisierten Organisation nicht nur angestellt und entlöhnt, sondern auch von Fachpersonen in die Grundpflege eingeführt und regelmässig begleitet und weitergebildet werden, kann Überforderung und Überlastung vermeiden», findet Merki.

Die Frage ist: Wie könnte der Stadtrat dazu beitragen, das Modell zu verbessern statt es rundheraus abzulehnen? Dazu müsste diese Spitex gemäss Merki ihren Sitz im Kanton Luzern haben. «Damit die Stadt die tatsächlichen Restkosten individuell festlegen kann. Im Idealfall kann mit der Organisation verhandelt werden, um die effektiv im Kanton Luzern anfallenden Restkosten zu vergüten.»

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten sei die Stadt bereits jetzt aktiv, um pflegende Angehörige zu unterstützen, sagt Merki. Im Moment stünden die Information und die Entlastung Angehöriger im Zentrum – zum Beispiel via Gutscheine für selbstbestimmtes Wohnen und das Angebot Vicino (zentralplus berichtete).

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Onlyone
    Onlyone, 19.10.2021, 18:19 Uhr

    War ja klar. Nach der Sozialindustrie kommt jetzt die Pflegeindustrie und als Nächstes werden die Gefängnisse privatisiert, dass auch da ordentlich Seuergelder als Gewinne abgeschöpft werden können.

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  • Profilfoto von Marlis Burger
    Marlis Burger, 19.10.2021, 14:29 Uhr

    Wenn der Kt. Luzern seiner Sozialverantwortung nicht nachkommt versuchen es halt Dritte… Grundsätzlich gibt es aus qualitativer und emotionaler Hinsicht nichts besseres als wenn sich ein Angehöriger um die Pflege bemühen kann/will. Wer sich informiert weiss, dass die Qualität und Rekrutierungsmöglichkeiten von Institutionen wie Spitex sehr beschränkt ist. Ein innerkantonales Vertragsverhältnis anzustreben klingt nach bekannter Doppelmoral wie wir bereits aus der «Privatisierung» des Kantonsspital kennen. Das Gesundheitsdepartement wäre gut beraten richtig hinzuschauen wenn es um Qualität im Gesundheitswesen geht, anstatt sich nur auf Verordnungen und Richtlinien zu berufen um der Rechtsstaatlichkeit gerecht zu werden aber dafür an den Bedürfnissen der Patienten und Leistungserbringer vorbei zu politisieren.

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