Ausbildungsoffensive Pflege
Ausbildungsziel der Pflege erreicht aber noch keine Lehrverträge für nächstes Jahr abgeschlossen

Die Ausbildungsoffensive in der Pflege kommt voran. Doch die Krise droht den zukünftigen Lernenden zu schaden.

Gülpinar Günes
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Die Ausbildungsoffensive in den Pflegeberufen ist auf gutem Kurs. (Symbolbild)

Die Ausbildungsoffensive in den Pflegeberufen ist auf gutem Kurs. (Symbolbild)

Gaetan Bally / KEYSTONE

«Es ist eine Erfolgsgeschichte», sagt Urs Hufschmid, Vizepräsident des Stiftungsrates der OdA Gesundheit und Soziales im Kanton Solothurn (SOdAS). Seit 2014 konnten die Ausbildungsstellen in der kantonalen Gesundheitsbranche um 35 Prozent gesteigert werden: Also von 432 auf 583 Stellen. «Wir konnten uns Jahr für Jahr weiterentwickeln.» Mit 286 Lehrabschlüssen im Sommer 2020 feierte die Stiftung einen erneuten Erfolg und meldete, dass damit «das hoch gesteckte Ausbildungsziel wiederum gut erfüllt wurde.»

Im Rahmen der Ausbildungsverpflichtung erhebt die Stiftung jährlich Zahlen zu den Ausbildungsstellen. Die Institutionen werden jeweils in Spitäler/Kliniken, Pflegeheime und Spitexorganisationen eingeteilt. Jede erhält gemäss ihren Möglichkeiten «Soll-Punkte» zugeschrieben. Diese gilt es zu erreichen. Wer wie viele Ausbildungsstellen in welchem Bereich anbietet, ist jeweils abhängig vom qualifizierten Personal in den Betrieben.

Spitäler, Kliniken und Heime auf Kurs

Die grössten Ausbildungsstätten im Kanton, Spitäler und Kliniken, übertrafen ihre Soll-Punkte letztes Jahr mit 114 Prozent. Als Ausbildner von Studenten vor allem aus den Höheren Fachschulen kommt ihnen eine grosse Bedeutung zu. «Spitäler brauchen qualifiziertes Personal für die Erfüllung ihrer teilweise äusserst anspruchsvollen Aufgaben», sagt Hufschmid. «Die Studenten werden zu Fachpersonal ausgebildet und genau dort besteht der Pflegenotstand.»

Den Nachwuchs für die Hochschulen bilden vor allem die Pflegeheime im Kanton mit ihren Lehrstellen der Sekundarstufe II aus: Fachpersonen Gesundheit. Mit einem Viertel der Auszubildenden haben dort allerdings auch Attestlernende eine grosse Bedeutung. Auch die Heime übertrafen mit 106 Prozent ihr Ausbildungsziel.

Die Spitex hätte noch mehr Potenzial

Aus der Reihe tanzen lediglich die Spitexorganisationen: Mit knapp 84 Prozent liegen sie deutlich unter ihrem Potenzial, obwohl sie im Vergleich zu den Vorjahren doch einen Fortschritt vorweisen können. Die Institutionen stehen allerdings vor anderen Herausforderungen: Während in Spitälern oder Heimen das Personal ständig im Haus ist, sind Spitex-Angestellte unterwegs tätig. «Die Pflege wird vorwiegend am Morgen und am Abend erbracht und viele Mitarbeitende sind in Teilzeitpensen angestellt», sagt Mili Marti, Geschäftsleiterin der Spitex Aare und Präsidentin des Stiftungsrats der SOdAS, auf Anfrage. «Es ist schwierig für kleinere Organisationen Auszubildende den ganzen Tag zu beschäftigen.» Laut Urs Hufschmid sind vor allem diese kleinen Institutionen auf Unterstützung angewiesen. Eine Möglichkeit das Ressourcen-Problem zu lösen, seien sogenannte «Lernkooperationen» zwischen zwei Institutionen: Der Lernende könne einen Teil der Ausbildung bei der Spitex und den anderen Teil beispielsweise in einem Heim absolvieren. «Die Verantwortung wäre damit nicht nur bei den Spitexorganisationen», sagt Hufschmid. Die SOdAS arbeite daran, diese «Lernkooperationen» zu unterstützen.

Wichtig ist es, dass die ausgebildeten Fachleute auch den Institutionen erhalten bleiben. Das sei im Falle der Studienabgänger aber sehr unterschiedlich, sagt Ivana Kovacevic, Bildungsverantwortliche HF der SOdAS. «Es kommt stark darauf an, wie die Studierenden die Ausbildungszeit empfunden haben und wie sie begleitet wurden.» Manche Studierende würden auch eine Verpflichtungszeit nach der Ausbildung eingehen, zu Gunsten eines höheren Studienlohnes und der Übernahme von Studienkosten. Um zu verhindern, dass ausgebildetes Fachpersonal nach einigen Jahren den Beruf wechselt, brauche es laut der Präsidentin des Stiftungsrates, Marti, neue Modelle der Teilzeitarbeit, um die Pflegeberufe attraktiver zu machen.

Keine Schnuppertage in Pflegeheimen

Derzeit allerdings bestehe ein anderes Problem in der Branche: Wegen der Coronamassnahmen sei ein «Stau» bei den Schnuppertagen entstanden. Normalerweise können Schüler bereits jetzt in den Institutionen schnuppern gehen. Doch wegen der Massnahmen verzichten insbesondere Pflegeheime auf diese, um ihre Anwohner nicht zu gefährden, wie Urs Hufschmid sagt. «Bisher wurden noch keine Lehrverträge für das neue Jahr abgeschlossen.» Er befürchtet je nach Weiterentwicklung der Corona-Situation, dass im kommenden Jahr junge Leute die Lehre beginnen, die noch nie im Gesundheitswesen schnuppern waren. Das hätte für beide Seiten Konsequenzen.

Wiedereinsteiger in den Pflegeberuf

Die Solothurner Spitäler AG (soH) bietet seit eineinhalb Jahren ein Programm für Wiedereinsteiger an. Es richtet sich an ehemalige Pflegefachkräfte der allgemeinen Krankenpflege oder mit einem Diplom der Höheren Fachschule oder der Fachhochschule. In einer ersten Beurteilung des Kandidaten werde das vorhandene und fehlende Wissen eruiert. Schliesslich werde in Zusammenarbeit mit der Wiedereinsteigerin ein individuelles Programm zusammengestellt, so Mediensprecher Hannes Trionfini. Themen, die oft auftauchen, seien etwa die Digitalisierung, die verkürzte Aufenthaltszeit der Patienten sowie die Komplexität der Behandlungsmethoden. Drei Leute konnten laut Trionfini so wiedereingestellt werden. Auch der Kanton prüfe derzeit eine regelmässige Durchführung von Wiedereinsteigerkursen. In den Kursen für den Corona-Reservepool seien positive Erfahrungen gemacht worden, wie Sandro Müller, Chef des Amts für Soziale Sicherheit, mitteilt. Momentan sei ein zweiter «Refresher-Kurs» für den Reservepool in Vorbereitung. Dieser zähle mittlerweile rund 350 Personen. (gue)