Angehörigenbetreuung nicht nur für Gottes Lohn

Langzeitkranke, die einer intensiven Pflege bedürfen, haben diese am liebsten zu Hause. Angehörige sind bei einer Langzeiterkrankung automatisch in den Pflegeprozess involviert – auch wenn externe Hilfe gewährleistet wird. Erhält der oder die Angehörige für ein solches Engagement nur Gottes Lohn? Das muss nicht sein. Die private Grenchner Power Spitex setzt pflegende Angehörige auf ihre Lohnliste.

Gordana Schmid (rechts) mit ihrer Tochter Anja Glivar, die demnächst ihr Studium als Pflegefachfrau HF abschliessen wird. Bild: zvg
Gordana Schmid (rechts) mit ihrer Tochter Anja Glivar, die demnächst ihr Studium als Pflegefachfrau HF abschliessen wird. Bild: zvg

Bezahlte Angehörigenbetreuung ist ein Geschäftsmodell, welches es noch nicht allzu lange gibt. Gordana Schmid, die seit 2019 in Grenchen mit der Power Spitex eine private Anbieterin von ambulanten Pflegedienstleistungen ist, unterschrieb letzten November den ersten Angehörigen-Mitarbeitervertrag. Mittlerweile sind es fünf Personen, die zu Hause ihre Lieben pflegen und dafür entlohnt werden. 


Wie die Idee reifte
Es ist ein exemplarischer Fall, der bei Gordana Schmid den Entschluss reifen liess, pflegende Angehörige einzustellen, um ihnen so einen Verdienst für ihre Arbeit zu ermöglichen. Gordana Schmid erzählt. Sie sei für die ambulante Pflege eines schwer kranken Klienten aus der Region engagiert worden. Seine Ehefrau, noch arbeitstätig, musste aufgrund der sehr intensiven Pflege sehr schnell einmal ihren Job aufgeben. Sie hätte vom Kanton Hilflosenentschädigung beantragen können, um wenigstens einen Teil der Selbstkosten bezahlen zu können. Davon wusste sie aber nichts – wie viele andere Betroffene auch. Die Entschädigung habe man dann rückwirkend noch erfolgreich beantragt. So weit, so gut. «Ich habe mit der Frau gesprochen und ihr von einem relativ neuen Geschäftsmodell, das von privaten Spitex-Organisationen angeboten wird, erzählt.» Die Frau sei jedenfalls einverstanden gewesen und habe einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Sie erhält nun monatlich für ihre Pflege gegen 2000 Franken. Dies bezieht sich auf rund 60 Stunden, abzüglich der Sozialleistungen. Die Hilflosenentschädigung wird auch in einem solchen Fall nicht gestrichen. 


Zweieinhalb Stunden pro Tag 
Man könnte nun fragen: Wieso muss ­dafür ein Geschäftsmodell entwickelt werden? Pflegeleistungen von Langzeiterkrankten werden von den Krankenkassen zum grossen Teil übernommen. Jede Pflege umfasst eine Patientenbeteiligung von monatlich 460 bis 470 Franken. Zudem hätten auch pflegende Angehörige Anspruch auf eine Entschädigung. Sie können aber ihre Forderungen nicht direkt bei der Krankenkasse anmelden lassen, sondern müssen einen Umweg machen. Und der führt zum Beispiel über die Power Spitex in Grenchen. «Die Anzahl der Stunden für Angehörige sind pro Tag auf zweieinhalb Stunden begrenzt», präzisiert Gordana Schmid. Weil aber eine intensive Pflege kein ­Wochenende kennt, kommen so gut und gerne pro Monat 60 bis 70 Stunden zusammen. Und die werden im Fall von Power Spitex mit 35 Franken pro Stunde vergütet, inklusive 13. Monatslohn und Feiertagsentschädigung, abzüglich der Sozialleistungen. 


Vergütung für Grundpflege
Alles gut. Nur stellt sich die Frage: Sind Angehörige ohne Fachausbildung überhaupt in der Lage, Tätigkeiten in der Pflege auszuführen? Auch hier präzisiert Gordana Schmid: «Da gibt es natürlich einen Unterschied. Pflegende Angehörige ohne Fachausbildung werden Leistungen der Grundpflege vergütet. Dazu gehört das Eingeben der Mahlzeiten, Hilfeleisten beim An-und Auskleiden und bei der Körperpflege.» Sie unterweise die Angehörigen auch bei einfacheren Anwendungen, dann, wenn etwa Arme oder Beine bei neurologischen Erkrankungen mobilisiert werden müssen. «Der Aufwand für uns wird natürlich nicht kleiner, er wird intensiver», sagt Gordana Schmid. Sie gebe telefonischen Rat, im Notfall auch nachts. Ausserdem hätten die Angehörigen einen virtuellen Einblick ins Pflegeblatt. Sämtliche Tätigkeiten, die medizinische oder fachpflegerische Kenntnisse erfordern, werden nach wie vor durch sie oder ihre Mitarbeitenden vorgenommen. 
Wichtig zu wissen: Die Krankenkassen bezahlen nur Pflegeleistungen, die dem Bedarf entsprechen. Dieser wird vorgängig anhand eines standardisierten Formulars durch die Spitex abgeklärt. 


Ängste sind unbegründet
Was also hindert eine angehörige Person, sich bei einer Spitex-Organisation anstellen zu lassen? «Grundsätzlich nichts», bestätigt Gordana Schmid. Allerdings spüre man hier die typisch schweizerische Zurückhaltung gegenüber Dingen, die nicht alltäglich sind. So herrsche die Angst, man müsse dann noch weitere Klienten betreuen oder man verliere dadurch die Hilflosenentschädigung oder die bisherige Autonomie bei der persönlichen Pflege werde eingeschränkt. Die Ängste sind unbegründet. Sie sei zur Stelle, wenn Hilfe nötig sei. Die Hilflosenentschädigung werde ohne Einschränkung weiter ausbezahlt, wird die Betreuung des Angehörigen entschädigt. 
Sie habe in ihrer Tätigkeit einfach gemerkt, wie sehr Angehörige bei der Pflege an ihre Grenzen kommen, weil sie nebenbei auch noch arbeiten. Auf Dauer komme das nicht gut.


Eine Win-win-Situation
Eine Frage hätten wir noch. Welchen Nutzen zieht Power Spitex aus dieser Beschäftigung von Angehörigen? «Es ist eine Win-win-Situation, bei der auch wir finanziell profitieren. Unter dem Strich sind beide Seiten zufrieden.» 
Gordana Schmid hat in ihrem bewegten Leben gelernt zu kämpfen. Ihre Zielorientiertheit und Beharrlichkeit haben ihr schon manche Türen geöffnet. Sie war bis zuletzt vor ihrer Selbstständigkeit viele Jahre in der Pflege tätig, leitete unter anderem auch Pflegeheime. Sie ist jetzt 62 und will langsam auch an sich selbst denken. Die Nachfolge habe sie geregelt, sagt sie. In zwei bis drei Monaten entscheidet sich, ob sie noch einmal eine neue Herausforderung annehmen wird. Sie sucht seit einem Jahr eine geeignete Lokalität für eine Tagesstätte, in der Klientinnen und Klienten tagsüber oder auch an einem Wochenende oder als Kurzzeitaufenthalt zur Entlastung der Angehörigen gepflegt und betreut werden. Das wäre dann auch ein neues Geschäftsmodell – ein gutes und dringend notwendiges dazu.

Informationen zum Bezug von Hilflosen­entschädigung: www.akso.ch
Mehr zur bezahlten Angehörigenbetreuung: www.power-spitex.ch