Wer Angehörige pflegt, erhält jetzt einen Lohn

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80 Millionen Gratis-StundenWer Angehörige pflegt, erhält jetzt einen Lohn

Rund 300’000 Schweizer pflegen Familienangehörige – meistens umsonst. Eine Zürcher Firma will das ändern und stellt Angehörige ein, um sie für die Pflegearbeit zu bezahlen.

Darum gehts

  • 80 Millionen Stunden Pflegearbeit werden in der Schweiz pro Jahr umsonst geleistet.

  • Die Firma AsFam stellt nun Privatpersonen ein und zahlt ihnen einen Lohn dafür.

  • Denn die sogenannte Grundpflege muss nicht zwingend von einer Fachperson ausgeführt werden.

  • Laut Gesundheitsökonom wirkt das dem Mangel an Pflegepersonal entgegen.

Wer schwer krank wird oder verunfallt und Pflege benötigt, erhält diese meist von einem Familienmitglied. So leisten jedes Jahr rund 300’000 Personen in der Schweiz 80 Millionen Stunden Pflegearbeit – und das umsonst.

Das findet Ruedi Kunz nicht fair. Deshalb stellt seine Firma AsFam, Assistenz für Familien mit pflegenden Angehörigen, Privatpersonen an und sorgt dafür, dass diese einen Lohn für ihre Pflegearbeit erhalten. «So können wir die Betroffenen wenigstens finanziell etwas entlasten», sagt Kunz.

Es gibt 33 Franken pro Stunde

Geld gibt es für die sogenannte Grundpflege. Diese umfasst Tätigkeiten wie Hilfe bei der Körperpflege, beim Aufstehen oder der Essenseinnahme. Gemäss eines Bundesgerichtsentscheids von 2006 muss die Grundpflege nämlich nicht zwingend von einer Fachperson ausgeführt werden, um eine Kassenpflichtleistung zu sein.

Es gibt aber eine Voraussetzung: Man muss die Pflege im Namen einer als Spitex zugelassenen Organisation ausführen. Genau hier kommt Ruedi Kunz’ Unternehmen ins Spiel. «Wir stellen die Personen im Stundenlohn an und geben ihnen ein Coaching durch unsere Pflegefachleute.»

Die Pflege Zuhause wird über die Krankenkasse der pflegebedürftigen Personen finanziert. Der ausbezahlte Betrag variiert von Fall zu Fall. Hiervon zahlt AsFam den pflegenden Angehörigen 33.20 Franken pro Stunde für die Grundpflege und entrichtet die anfallenden Sozialabgaben.

Private Spitex soll Geld von Gemeinde und Kanton erhalten

Dass Angehörige einen Lohn für Pflegearbeit erhalten, findet Stefan Felder, Gesundheitsökonom an der Universität Basel, sinnvoll: «Die Arbeit muss von jemandem gemacht werden, und das kostet Geld.» Ein Stundenlohn von über 33 Franken sei dabei sehr gut gerechnet. So erhält ein Spitex-Mitarbeiter in Basel nur rund 28 Franken auf die Stunde. Helfen Angehörige in der Pflege aus, wirke das auch dem Mangel an Pflegepersonal entgegen. Die Krankenkassen würden dadurch aber nicht entlastet: Das Problem der Finanzierung bleibt laut Felder bestehen. «Problematisch ist, dass eine öffentliche Spitex zusätzlich öffentliche Gelder erhält. Eine private Spitex wird aber nicht subventioniert. Das muss sich ändern.» Laut Felder sollte deshalb auch eine private Spitex, wie AsFam, finanzielle Unterstützung von Gemeinde und Kanton erhalten.

Mit der Differenz finanziert sich AsFam die Infrastruktur und bezahlt davon die eigenen internen Gehälter. Die Pflegenden müssen dafür jeden Tag einen kurzen Situationsbericht in einer Spitex-Software erfassen.

Pflegende müssen oft ihren Job aufgeben

AsFam bietet die Dienstleistung seit September in den Kantonen Zürich und Schaffhausen an und möchte 2021 in die Westschweiz expandieren. «Die Idee für das Projekt ist durch den Glarner Rechtsanwalt Hardy Landolt entstanden», erklärt Kunz. Inzwischen gebe es drei Firmen in der Deutschschweiz, die eine Vergütung für die Pflege durch Familienmitglieder in 12 Kantonen anbieten.

«Noch sind die Leute aber skeptisch», sagt Kunz. Denn viele Leute hätten das Gefühl, dass sie sich nicht entlöhnen lassen dürfen für die Pflege ihrer Angehörigen. «Aber das stimmt nicht.» Um jemanden zu pflegen, müsste oftmals das Arbeitspensum reduziert werden oder der Job vollständig aufgegeben werden.

«Das bedeutet grosse sofortige finanzielle Einbussen sowie auch später im Leben bei der Berechnung der Rente – obwohl man immer aktiv in der Gesellschaft war und etwas Gutes tut», erklärt Kunz. Deshalb sei ein Lohn angebracht und nötig.

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