33 Franken pro Stunde – Freiwilligenarbeit in der Pflege – «Es wäre besser gewesen, gratis zu arbeiten»

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33 Franken pro StundeFreiwilligenarbeit in der Pflege – «Es wäre besser gewesen, gratis zu arbeiten»

Der Kanton Waadt ruft die Bevölkerung zur Arbeit im Pflegeheim auf. Der Appell ist ungewöhnlich, kommt aber gut an. Nur über den Lohn wird gestritten.

Darum gehts

Pflegekräfte werden in der Corona-Krise händeringend gesucht. Manche Spitäler kämpfen mit Kopfgeld um Personal. Das Gesundheitsdepartement des Kantons Waadt rief am Montag die Bevölkerung zur Mithilfe in Alters- und Pflegeheimen auf, weil es so viele Absenzen gibt.

Gesucht sind Pflegefachleute, die temporär aushelfen können. Es braucht aber auch Hilfe für Arbeiten ohne medizinische Ausbildung, ob in der Küche, der Administration oder bei der Animation der Heimbewohnerinnen und -bewohner.

33 Franken pro Stunde

Die aushelfenden Pflegekräfte sollen den ortsüblichen Lohn nach Beruf erhalten. Für Arbeiten abseits des Pflegebereichs gibt es pauschal brutto 33 Franken pro Stunde, netto sind das etwa 28 Franken, wie es auf Anfrage beim Waadtländer Gesundheitsdepartement heisst. Das Arbeitspensum hänge von der Verfügbarkeit der Personen und den Anfragen der Institutionen ab.

Ein halber Tag ist das Minimum

Der Einsatz ist zeitlich befristet, dürfte aber eine Weile dauern. Amtsdirektor Fabrice Ghelfi rechnet angesichts der epidemiologischen Entwicklung nicht damit, dass sich die Situation in den Heimen in den kommenden Wochen entspannen wird, wie er zur «NZZ» sagt.

Ungewöhnlicher Aufruf

Ein solcher Aufruf an die Bevölkerung ist ungewöhnlich in der Schweiz, der Kanton hat damit aber im vergangenen Jahr gute Erfahrungen gemacht. Negative Erfahrungen soll es praktisch keine gegeben haben; manche Personen wurden sogar fest angestellt. Dieses Jahr haben sich laut dem Waadtländer Roten Kreuz bereits über 1000 Personen gemeldet.

Gesundheitsökonom Heinz Locher findet den Weg von Waadt gut. Zwar könne auch der Zivilschutz aushelfen, der sei aber schwerfälliger durch die Rekrutierung. «Wenn es rasch und unkompliziert gehen muss, ist ein solcher Aufruf gut», sagt Locher zu 20 Minuten.

Der Experte lobt: «Wir kommen in der Krise nur weiter, wenn man solche Dinge ausprobiert.» Weil die Kantone entscheiden, habe die Schweiz 26 Experimentiermöglichkeiten, um nach Auswegen aus der Krise zu suchen.

«Viele Ideen kommen von West nach Ost»

Davon profitiere das Land. Die Westschweiz bringe immer wieder Neues hervor wie die Spitex, die auch in der Deutschschweiz etabliert ist. «Viele Ideen im Gesundheitswesen kommen von West nach Ost», sagt Locher.

Schweizweit würde es aber wohl nicht funktionieren. «Im Kanton Waadt hat der Staat aus historischen Gründen eine viel wichtigere Bedeutung als in Zürich oder St. Gallen. Dort zeigt man eher Bereitschaft bei einem solchen Aufruf», so Locher.

«Es wäre besser gewesen, gratis zu arbeiten»

Auch der Sozial- und Wirtschaftspsychologe Christian Fichter von der Kalaidos-Fachhochschule findet den Aufruf gut, die Entlohnung aber nicht. «33 Franken sind nicht viel für eine Arbeit ohne Zukunftssicherheit, bei der viel Flexibilität erwartet wird», sagt Fichter zu 20 Minuten.

Die Verantwortlichen würden wohl darauf spekulieren, dass man die Leute für Freiwilligenarbeit begeistern kann, weil es etwas Gutes ist, so Fichter. «Dann wäre es aber besser gewesen, gratis zu arbeiten. Denn Freiwilligenarbeit macht man weniger gern, wenn es Geld gibt. Dann geht der Wille zur Hilfe verloren.»

Es könne aber durchaus sein, dass sich nun einige Arbeitnehmende auf den Aufruf melden, weil sie ein tieferes Gehalt haben. Schliesslich liegen die Stundenlöhne etwa in der Küche im Schnitt tiefer als die im Pflegeheim versprochenen 33 Franken.

Die Unia findet den Solidaritätsaufruf für temporäre Einsätze okay und hätte auch schweizweit nichts dagegen. «Es ist eine Notlage, es herrscht Personalmangel in der Pflege. Wenn es zeitlich befristet ist, ist das soweit verständlich», sagt Samuel Burri, Pflegespezialist bei der Gewerkschaft.

«Pflegeheime sind Hotspots»

Wichtig sei, dass die Aushilfen nicht im pflegerischen Bereich eingesetzt und nicht gefährdet werden durch Corona. «Pflegeheime sind Hotspots», sagt Burri. Sie bräuchten eine Schulung, damit sie das Virus nicht ins Heim bringen und sich nicht anstecken. Dafür sei zusätzliches Schulungspersonal nötig, was angesichts des Personalmangels zum Problem werden könnte.

33 Franken Entschädigung pro Stunde findet der Gewerkschaftsexperte in Ordnung. Zwar könne es auch noch mehr sein, dürfe aber nicht besser bezahlt sein als die geschulten und möglicherweise langjährigen Angestellten. «Es ist eine Freiwilligenarbeit, deshalb darf es keine Konkurrenz zu den Festangestellten sein», sagt Burri.

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